Essen. . Ein Blick auf die Ausbildungsbilanz verrät: Jugendliche ziehen oft einen bürgerlichen Bildungsweg vor, statt sich in Handwerksberufen die Hände schmutzig zu machen. Dabei bietet eine solide Ausbildung oft bessere Berufsperspektiven als manches Studium.
Das Kind soll Abitur machen und dann erstmal studieren: Dieser wohl gemeinte Ratschlag von Eltern dürfte vielen Jugendlichen heute im Ohr klingen – und damit einer der Hauptgründe sein, warum die Bilanz für das Ausbildungsjahr 2013/14 eher bescheiden ausfällt. So setzten sich gestern Vertreter der Agentur für Arbeit, des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), der Industrie- und Handelskammer (IHK) sowie der Kreishandwerkskammer an einen Tisch, um die gegenwärtige Situation auf dem Essener Ausbildungsmarkt bei einem Pressegespräch zu erörtern.
Die klassische Lehre hat ein Imageproblem, wie ein Blick auf die Zahlen nahelegt: 151 Ausbildungsplätze waren in Essen Ende September noch unbesetzt, das sind 54 mehr als im Vorjahr. Dem gegenüber stehen 3207 gemeldete Ausbildungsstellen – immerhin 104 mehr als 2013. In Essen bildet nur jeder fünfte Betrieb aus, wobei gerade kleinere Unternehmen oft nicht die Kapazitäten besitzen, um Ausbildungsplätze anbieten zu können. Dies entspricht einer Ausbildungsquote von 21,6 Prozent – landesweit liegt sie bei 23 Prozent. Gerade Branchen wie die Gastronomie, die Hotellerie, die Metalltechnik, die Pflege und auch das Handwerk haben massive Schwierigkeiten, geeignete Bewerber für vakante Stellen zu finden.
Mehr Flexibilität gefordert
Torsten Withake, Leiter der Agentur für Arbeit in Essen, führt auch mangelnde Flexibilität der Schulabgänger als Grund an, warum viele zukunftsträchtige Ausbildungsplätze Ladenhüter auf dem Arbeitsmarkt bleiben: „Die jungen Leute haben heute ein Idealbild von ihrer Wunschausbildung im Kopf und sind nicht bereit, sich mit Alternativen innerhalb der gleichen Branche auseinanderzusetzen – häufig kennen sie diese auch gar nicht.“ Und ergänzt väterlich: „Gerade wenn man noch keine geeignete Stelle gefunden hat, muss man Kompromisse machen und kann sich nicht nur die Rosinen rauspicken.“
Auch weigerten sich viele Ausbildungsanwärter, der Agentur für Arbeit ihre Daten zur Weitergabe an ausbildende Betriebe zu Verfügung zu stellen, was die Vermittlung zusätzlich erschwere.
Vor allem das Handwerk steht unter Druck, sich qualifizierte Fachkräfte für die Zukunft zu sichern, sitzen viele Jugendliche doch lieber in zentralbeheizten Büros, als Schnitzel hinter der Fleischtheke zu klopfen oder bei Wind und Wetter Straßen zu pflastern.
Vom Friseur bis zum Malerbetrieb kamen in Essen in diesem Jahr neun Prozent weniger Ausbildungsverhältnisse zustande als im Vorjahr, was Ulrich Meier, Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft, große Sorgen bereitet: „Wir versuchen seit Jahren jungen Leuten zu vermitteln, dass eine duale Ausbildung mindestens den gleichen Stellenwert wie ein Studium hat und vielleicht sogar bessere Berufsperspektiven bietet. Deshalb sollten durchaus auch Abiturienten diesen Weg für sich in Betracht ziehen.“
Ausbildungsplatzabgabe weiter umstritten
Von Rechtschreibung, über Mathematik bis hin zu sozialen Kompetenzen wiesen viele Bewerber gravierende Defizite auf, die gerade kleinere Unternehmen nur schwer auffangen könnten. „Ein Ausbildungsbetrieb kann nicht leisten, was im Elternhaus versäumt wurde“, konstatiert Meier. Generell gehe das Handwerk zu spät an den Ausbildungsstellenmarkt, was das Problem weiter verstärke.
Und so dauert es in der Gesprächsrunde nicht lange, bis IHK-Geschäftsführer Hans Michaelsen und DGB-Regionsgeschäftsführer Dieter Hillebrand einen traditionsreichen Streit routiniert aufwärmen: Schon lange sehen Gewerkschafter in einer Pflichtabgabe für Unternehmen, die nicht ausbilden, ein heilbringendes Mittel, um die Lage auf dem Ausbildungsmarkt zu entspannen – so auch Hillebrand: „Wir müssen heute anfangen auszubilden, sonst werden die Unternehmen richtig Probleme bekommen.“ Eine solche Pflichtabgabe sei ein sinnvolles Mittel, um Unternehmen Anreize für die Ausbildung zu bieten.
Für Michaelsen nichts weiter als „eine olle Kamelle, um Anwälte zu beschäftigen“, wie der Unternehmensfunktionär süffisant bemerkt, aber keine Investition in die Zukunft potenzieller Fachkräfte. Ein solches Instrument schaffe nur unnötigen bürokratischen Aufwand.
In künftige Fachkräfte investieren
Einig sind sich alle Beteiligten in ihrem Appell an die Unternehmen, Nachwuchskräften eine Chance zu geben, wovon letztlich alle profitieren. Personalchefs, die noch einen Azubi suchen, sollten ihre freie Stelle umgehend der Agentur für Arbeit melden, um durch die Nachvermittlung einen geeigneten Kandidaten zu finden.
Hoffnung machen Betriebe wie die Malerwerkstätten Heinrich Schmid GmbH: Der Borbecker Betrieb beschäftigt derzeit 40 Auszubildende und bietet Interessierten auch die Möglichkeit, in Schnupperpraktika erste Berufserfahrung zu sammeln. Für Malerin Sabrina Hitzelberger war es ihre zweite große Chance: Früher in der Altenpflege tätig, nahm sie mit 32 Jahren noch einmal Kurs auf ihren eigentlichen Traumberuf: „Ich wollte immer schon im Handwerk arbeiten. Jetzt habe ich das auch verwirklicht.