Essen. Im Essener Siepental bewirtschaften zehn Anwohner einen gemeinsamen Garten. Ganz ohne Zäune und Vereinssatzung. Ihre Ziele sind eine gesündere Ernährung und ein schärferes Bewusstsein für den Wert von Lebensmitteln.
Ronja Hasselbach rutscht über ein abschüssiges Stück Rasen. Alle paar Minuten zieht sie ihren Plastikeimer voller Unkraut ein paar Meter weiter, dann greift sie zur Gartenschere und setzt ihre Arbeit fort: Grasbüschel rupfen, Schnecken einsammeln, und hier und da auch mal ein paar Brombeeren naschen. Vom Wanderweg aus ist ihr Kopf kaum zu sehen und auch die anderen Gärtnerinnen verschwinden die meiste Zeit hinter Büschen und Erdhaufen.
Man muss überhaupt recht genau hinschauen, um den Siepentaler Gemeinschaftsgarten als solchen zu erkennen. Einen Zaun gibt es hier nicht. Und auch eine Gartenlaube mit Fahne sucht man vergebens. Auf dem höchsten Punkt der 600 Quadratmeter großen Anlage steht stattdessen eine Sitzecke mit einer Vase und frisch geschnittenen Blumen – natürlich aus eigener Produktion.
Drei Gemeinschaftsgärten in Essen
Dafür fallen die kleinen Schilder auf, die überall verstreut in der Erde stecken. Einer der insgesamt zehn regelmäßig helfenden Gärtner hat sich bunte Blumentopfscherben genommen und darauf Zitate von bekannten Schriftstellern und Künstlern gemalt: „Doch wie der Garten mit dem Plan wächst, wächst der Plan mit dem Garten“ und „Unkraut ist die Opposition der Natur gegen die Regierung der Gärtner“, steht da unter anderem geschrieben.
„Jeder kann sich hier einbringen, wie er will“, erklärt Petra Fiedler, die als Sprecherin fungiert. Einen Vereinsvorsitzenden oder eine Satzung gibt es nicht, denn die Gärtner aus Bergerhausen haben sich ganz unverbindlich zusammengefunden – ohne formelle Zwänge. Gleiches gilt auch für die Mitgärtner des etwas kleineren Storpplatz im Süd-Ostviertel und den neu entstandenen Gemeinschaftsgarten beim Bürgerhaus Ost in Freisenbruch. „Manche Leute kommen fast jeden Tag und kümmern sich um die Kräuter, andere pflücken Unkraut oder lernen etwas über Lebensmittel dazu. Man kann hier einfach abschalten.“
Besucher sind gern gesehen
Das Ziel der Gemeinschaftsgärtner ist es, sich verstärkt selbst zu versorgen und das Bewusstsein für den Wert von Lebensmitteln zu stärken. Nebenbei spielt auch der Gemeinschaftsaspekt eine große Rolle, denn die Arbeit findet in der Freizeit statt und wird nicht bezahlt. Im Gegenteil – viele Materialien sind Spenden aus benachbarten Schrebergärten. Das gehäckselte Holz, mit dem die Wege gestreut werden, ist ein Geschenk von Grün und Gruga. Die meisten Dinge bringen die Helfer jedoch selbst mit. Beispielsweise die Paprikapflanze, die Regine Mmadujibeya im Frühling gepflanzt hat. „Nach 14 Tagen war alles von Schnecken aufgefressen. Seitdem komme ich regelmäßig vorbei und helfe hier mit“, sagt die Finanzwirtin, etwas trotzig aber lächelnd.
Häufig kommen Spaziergänger vorbei und schauen zu, wie die Gärtner Beeren pflücken oder Steine neu verlegen. Während des Sommers laufen einige Nachbarn die kleine Anhöhe hinauf und riechen an den Salbeiblüten. Und morgens jagen regelmäßig Hunde durch die säuberlich abgetrennten Beete. „Der Garten soll bewusst offen sein“, betont Sprecherin Petra Fiedler. „Neulich saß hier ein Pärchen, dass sich Picknick mitgebracht hatte. Und am Donnerstag war hier eine Gruppe vom Diakonischen Werk. Genau so etwas finden wir gut.“ Gelegentlich habe man aber auch Probleme mit Vandalismus, wie die 53-Jährige einräumt. „Allerdings weitaus geringer, als wir zunächst befürchtet hatten.“
Unverständnis für billige Supermarktpreise
Der Gemeinschaftsgarten im Siepental wurde im März 2013 gegründet. Da keiner der freiwilligen Helfer über einen eigenen Garten verfügt, hat sich ein Teil des heutigen Teams an die Stadt gewandt und gemeinsam nach einer Freifläche gesucht. „Der Ertrag ist noch überschaubar. Aber es geht ja vor allem auch um das Miteinander und die Nähe zur Natur“, so Fiedler, die schon von Anfang an dabei ist.
Die Sozialarbeiterin hat ein paar Pfefferminzblätter gepflückt und mit heißem Wasser aus der Thermoskanne Tee gekocht. Während der Mittagspause diskutiert sie mit ihren Mitgärtnerinnen darüber, wie sich ihr Blick auf Lebensmittel in den vergangenen Monaten gewandelt hat. „Ein Büschel Radieschen kostet 39 Cent. Das verstehe ich gar nicht“, schimpft Regine Mmadujibeya in die Runde. „Ich weiß ja, wie aufwendig das ist.“ Auch Ronja Hasselbach und Petra Fiedler finden, dass Lebensmittel im Supermarkt zu billig sind. „Wir haben uns ein halbes Jahr um unsere Karotten gekümmert und in ein paar Sekunden ist alles aufgegessen“, sagt Hasselbach.
Monatliche Kräuterheilkunde
Im Gegensatz zu den beiden anderen Frauen lebt die 24-Jährige komplett vegan. „Samstags mache ich mir hier mein Körbchen mit Kräutern voll. Ich erinnere mich auch noch an meinen ersten selbst geernteten Kürbis. Das ist dann eine kleine Belohnung für die ganze Arbeit“, freut sich die junge Studentin.
Einmal im Monat kommt eine Heilpraktikerin vorbei und erklärt den Ehrenamtlern die Wirkung der verschiedenen Gewächse im Garten. Neulich war die Kartoffel an der Reihe. „Bei der Gelegenheit wird natürlich viel probiert. Man merkt, was alles essbar ist und hat plötzlich einen ganzen Salat zusammen. Kollegin Petra Fiedler ergänzt: „Wir wollen von den gängigen Sorten bewusst unabhängig sein und pflanzen nur das an, was hier gut wächst.“