Essen. Eine 74-jährige Frau stürzte im März kurz vor einer Haltestelle in Essen-Horst, als sie einen EVAG-Bus erreichen wollte. Obwohl sie hilflos auf der Straße lag, soll der heran nahende Busfahrer lediglich einen Bogen um sie gefahren haben. Vor Gericht stand jetzt aber der falsche Busfahrer.

Die Tat klingt unbarmherzig. Doch der Justiz fehlt der Täter, den sie bestrafen könnte. Einen angeklagten Busfahrer der EVAG sprach der Essener Amtsrichter Johannes Wecker von dem Vorwurf frei, einer gestürzten Rentnerin nicht geholfen zu haben. Er ist sicher, dass der Falsche auf der Anklagebank saß.

An der Tat selbst hatte Wecker keinen Zweifel. Laut Anklage war eine 74-Jährige am 7. März um 17 Uhr kurz vor der Haltestelle Breloher Steig im Essener Stadtteil Horst gestürzt, als sie den EVAG-Bus der Linie 184 in Richtung Steele erreichen wollte. Sie hatte Zähne verloren, blutete aus einer Platzwunde am Kopf. Obwohl sie hilflos auf der Straße lag, soll der heran nahende Busfahrer lediglich einen Bogen um sie gefahren haben, bevor er an der Haltestelle stoppte. Ohne ihr zu helfen oder über Funk Hilfe anzufordern, sei er weiter gefahren. Passanten hätten der Frau später geholfen.

Freundlicher Angeklagter

Auf der Anklagebank sitzt ein freundlicher Mann, 39 Jahre alt und seit drei Jahren Busfahrer bei der EVAG. Er hatte den Bus gefahren, der um 17.04 Uhr an der Halltestelle hielt. Doch er will nichts gesehen haben: „Ich bin kein Mensch, der einen links liegen lässt. Ich hätte sonst die Leitstelle angefunkt. Das habe ich noch in der letzten Woche getan.“

Aufklärung verspricht sich das Gericht von der Zeugin. Doch die 74-Jährige schildert zwar dramatisch, wie der Bus auf sie zurollte, den Fahrer habe sie aber nicht gesehen. Den Angeklagten lächelt sie freundlich an: „Den kenne ich vom Einsteigen.“

Falsche Uhrzeit

Sicher ist die Rentnerin sich nur, dass sie um 18.04 Uhr mit dem Bus fahren wollte. Das sei aber eine andere Uhrzeit als die, die sie in der Anzeige genannt hatte, wendet Richter Wecker ein. Die Anzeige, so betont sie, habe ja nicht sie erstattet, sondern ihr Sohn. Der habe dann wohl die falsche Uhrzeit genannt. Denn damals sei sie um 20 Uhr zu einem Geburtstag in Steele eingeladen gewesen. 17.04 Uhr sei dann wohl zu früh, weil sie ja nur noch ein Geschenk besorgen musste: „Das geht ruck, zuck, bei Tchibo rein und ein Pfund Kaffee kaufen.“

Verteidiger Peter Ufer weist darauf hin, dass in der Anzeige stand, sie hätte den Fahrer gesehen. Nein, sagt sie, das stimmt nicht: „Dann hat mein Sohn was Falsches gesagt. Der kriegt was zu hören“ . Auf einen Vorhalt des Richters reagiert sie ein wenig schroff: „Sie wollen mich wohl verschiffschaukeln. Ich hab’ doch keinen Alzheimer.“ Der Freispruch zeichnet sich früh ab. Staatsanwalt Stefan Levin ahnt, dass weitere Ermittlungen nach dem richtigen Fahrer schwierig sind: „Dann laden wir jetzt die anderen sechs Busfahrer, vielleicht gesteht ja einer.“