Essen. Schwarzfahrer sind nicht immer Schwarzfahrer. Wenn ein Fahrgast unverschuldet kein Ticket kaufen kann, darf er trotzdem die Fahrt in der Bahn antreten. Er muss aber beim Um- oder Aussteigen nachlösen - und im Zweifel beweisen, dass ihn keine Schuld trifft.

Die Kontrolleure haben sich schon so manches anhören müssen, wenn ertappte Falschfahrer sich mal wieder eine neue Ausrede einfallen lassen. Doch die anderen, die gibt es auch: die wirklich unschuldigen Fahrgäste, die keinen gültigen Fahrschein haben.

Weil sie zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort sind. Falscher Ort: beispielsweise S-Bahnhof Borbeck, wo weit und breit der einzig sichtbare Entwerter nicht funktioniert hat. Falsche Zeit: Fahrscheinkontrolle im Zug! Doch keine Sorge: Nicht jeder Schwarzfahrer wird von den Verkehrsgesellschaften wie ein Schwarzfahrer behandelt.

Konkret: Wenn der Entwerter beziehungsweise der Fahrscheinkartenautomat defekt sind - und der Kunde trotzdem die nächste Bahn nimmt, wird er deshalb nicht zur Rechenschaft gezogen. Dies erklären sowohl die Essener EVAG als auch die Deutsche Bahn.

Mitfahren "bis zum nächsten Knotenpunkt" erlaubt

Denn prinzipiell gilt, dass jeder einen Anspruch auf Beförderung hat. Die Details dazu finden sich im VRR-Handbuch für Tarif und Vertrieb (Beförderungsbedingungen NRW). Da steht schwarz auf weiß, dass der Fahrgast kein Knöllchen von 40 Euro (das nennt sich EBE: „erhöhtes Beförderungsentgelt“) zahlen muss, „wenn er sich aus Gründen, die außerhalb seiner Verantwortung liegen, keinen Fahrausweis beschaffen bzw. diesen nicht entwerten konnte.“ Klingt verführerisch für Beförderungserschleicher, die um Notlügen nicht verlegen sind. Doch der nächste Satz aus dem Handbuch ernüchtert: „In Zweifelsfällen liegt die Nachweispflicht beim Fahrgast.“

Die EVAG verfährt so: Ist der Automat an der Straßenbahn-Haltestelle „außer Betrieb“, kann der Fahrgast trotzdem einsteigen und mitfahren - und das „bis zum nächsten Knotenpunkt“, so Sprecher Olaf Frei. Der Kunde braucht auch nicht gleich an der nächsten Haltestelle wieder auszusteigen, um ein Ticket zu erwerben. Dann würde er ja seinen Anschluss verpassen. Hier zeigt sich die EVAG kulant. Der Fahrgast muss aber spätestens beim Umsteigen nachlösen - und bei einer Direktfahrt am Zielpunkt.

Eine Störung in drei Monaten

Um einen Missbrauch vorzubeugen - schließlich gehen der EVAG wegen der Schwarzfahrer jährlich rund 4,8 Millionen Euro an Einnahmen verloren -, wird jeder einzelne Fall vom Essener Verkehrsbetrieb genau überprüft. Der angesprochene ÖPNV-Nutzer muss seine Personaldaten angeben sowie den Zeitpunkt und den Ort, wo er eingestiegen ist. Dann macht sich ein Prüfdienst auf den Weg. Ist der Automat dort tatsächlich defekt, muss der Kunde keine Strafe zahlen.

P.S.: Beim EVAG-Bahnfahrer kann übrigens kein Fahrschein gekauft oder entwertet werden - sehr wohl aber bei den Busfahrern. Das Problem mit dem Entwertern stellt sich in den Bahnen nicht. Dass gleichzeitig alle vier Entwerter in einer Straßen - oder U-Bahn ausfallen, sei fast nie vorgekommen. Und bei den 240 Fahrkarten-Automaten im Essener Stadtgebiet soll eine regelmäßige Wartung Betriebsausfälle verhindern. Allein im Verbreitungsgebiet der Via (Essen, Mülheim und Duisburg) werden täglich 30 Fahrkarten-Automaten gecheckt. Nur alle drei Monate wird durchschnittlich eine Störung pro Automat gemeldet.

Zentrale Erfassung defekter Entwerter

Auch um die Ausfallquote möglichst niedrig zu halten, hat die EVAG auf Automaten in den Zügen verzichtet. „Die sind wegen der Vibrationen störanfälliger“, argumentiert Olaf Frei. Zudem dürfe ein bestimmtes Gefälle bei der Fahrt nicht überschritten werden, „ sonst funktioniert die Münzannahme nicht“, so Frei. Dieses Problem hat die Rheinbahn übrigens nicht. In Düsseldorf gibt es im Gegensatz zu Essen kaum Steigungen, auch deshalb sind die Düsseldorfer Züge mit Automaten ausgestattet.

Und die Deutsche Bahn? Die weist darauf hin, dass bei einem Ausfall ein Ticket beim Zugbegleiter nachgelöst werden kann. Ansonsten das gleiche Procedere: Kann der Kunde dem Kontrolleur kein entwertetes Ticket vorweisen, weil das Gerät am Bahnhof kaputt ist, wird trotzdem erstmal ein Protokoll angefertigt. Hat der Mitfahrende die Wahrheit gesagt, landet das Schreiben in den Papierkorb. Und zwar relativ schnell. Die DB erfasst nicht funktionsfähige Entwerter in einem zentralen Register in Berlin.