Essen. Auf den Tag genau vor 60 Jahren schoss Helmut Rahn im WM-Finale das entscheidende Tor. Seinen linken Schuh, den er an dem Fuß trug, mit dem er das Tor erzielte, haben die beiden Rahn-Söhne nun an das Deutschen Fußball-Museum ausgeliehen. In Essen wird es bald einen Helmut-Rahn-Platz geben.
Der „Boss“ ist wieder Kult. Auf den Tag genau 60 Jahre nach seinem magischen 3:2, jenem erlösenden Wunder-von-Bern-Tor, das die ganze Nation in einen „Wir-sind-wieder-wer“-Freudenrausch stürzt, verneigen sie sich an diesem 4. Juli vor Helmut Rahn: der berühmteste Fußballer, den Essen hervorgebracht hat. In seiner Heimat werden sie heute das Bronzedenkmal wieder vors neue Stadion rücken. Und feierlich ankündigen, dass dieser „rot-weiße“ Erinnerungsort demnächst auch noch zum „Helmut-Rahn-Platz“ erhoben wird.
Die B 1 ein Stück weiter rauf, in Dortmund, noch so ein nostalgie-satter Augenblick: Die beiden Rahn-Söhne Uwe und Klaus vermachen dem Deutschen Fußball-Museum leihweise den Wunder-Stiefel, den ihr Vater im WM-Finale am linken Fuß trug. Jene Weltneuheit, mit der er die regennasse Lederkugel zweimal ins ungarische Tor ballert und das berühmteste Tor der deutschen Fußball-Geschichte erzielt. Ob dem zuletzt so medienscheuen Idol diese Würdigung überhaupt recht gewesen wäre? Daran lassen die Rahns nicht den leisesten Zweifel aufkommen. „Aber natürlich“, betonen sie, „unser Vater wäre hundert Prozent einverstanden gewesen.“
Museum soll 2015 öffnen
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Die abgöttische Bewunderung für einen Schuh: Wohl nur der Fußball vermag solch tiefe Empfindungen zu erzeugen. Als sie das „Prachtstück“ zur Übergabe behutsam durch den Museums-Rohbau tragen, vorbei an Rigips und Rotband, ruht es eingeschlagen im Karton. Oben in der zweiten Ebene wird der Rahn-Schuh Teil der „Wunder von Bern“-Inszenierung: wie ein Collier unter Panzerglas. „Der Besucher schreitet durch einen Spielertunnel, dann stehen sie lebensgroß vor ihm: die Weltmeister von 1954“, verrät Museums-Chef Manuel Neukirchner.
Bis der Fußballfan inmitten der hymnenunterlegten 54-Inszenierung andächtig vorm „Schuh vom Boss“, dem Original-Endspielball, dem Eckel-Trikot, einer Original-Wankdorf-Zuschauerbank und Herbergers Notizbuch steht, wird noch ein Jahr vergehen. Das Museum, eine Mischung aus Walhalla und Weihestätte, Schatzkammer und Event-Location, soll Mitte 2015 seine Pforten öffnen.
Vom "Oberschuster der Nation"
Der Boss und sein nachträglich mit Bronze überzogener „Schuss-Schuh“: „Der lag Jahrzehnte lang immer gut verschlossen im Tresor“, erzählt Uwe Helmut Rahn, der Ältere, der im März 1954 auf die Welt kommt und in den Windeln liegt, als der Papa in Bern auf Rechtsaußen mithilft, „das emotionale Fundament für das deutsche Wirtschaftswunder“ (Peer Steinbrück) zu legen. Bruder Klaus (58) fügt hinzu: „Der Schuh hat Größe 8,5.“Woher er das so genau weiß? Da schmunzelt er und sagt: „Naja, ich habe einige von Vaters Fußballschuhen ausprobiert.“
Die Schuhe der Weltmeister symbolisieren „Made in Germany“ genauso wie Borgwards „Isabella“ und Grundig-Radios. Gefertigt hat sie der geniale Tüftler Adi Dassler („Adidas“), der „Oberschuster der Nation“. Während sie in England noch in pfundschweren Stiefeln über den Platz traben, erfindet Super-Adi einen leichten Schuh aus Kalbsleder mit einer Polsterung aus Schaumstoffeinlagen. Der Clou: die sechs Schraubstollen.
Flug mit dem Kanzler abgelehnt
Man spürt: Die Rahn-Söhne, beide Ingenieure, sind davon beseelt, das Vermächtnis ihres Vaters zu hüten. Deshalb überzeuge sie auch das Konzept des DFB-Museums. „Die Ausstellung wird jungen Menschen, aber auch Einwanderern und Touristen unsere Nachkriegsgeschichte näherbringen“, sagen sie. Und wie war der Vater als Mensch? Uwe Rahn beschreibt ihn, den Altenessener Bergmannssohn, so: „Gradlinig, unbestechlich, ehrenhaft, bodenständig, gläubig und natürlich humorvoll.“
[kein Linktext vorhanden]Nach dem Rummel in den 50er- und 60er-Jahren hat sich der „Weltmeister“ zusehends in seinen Frohnhauser Mikro-Kosmos zurückgezogen. Seine Welt: Das sind fortan der Sportplatz nebenan, der inzwischen seinen Namen trägt, die Elisabeth-Kirche und sein Stammlokal, die „Friesen-Stuben“.
Bezeichnend für den scheuen, gealterten Boss ist diese Episode: Als Helmut Kohl ihn zur WM 1994 als persönlichen Ehrengast in der Kanzlermaschine mitnehmen will, da winkt Helmut Rahn dankend ab. Er bleibt lieber in Frohnhausen, wo er 2003, nur zwei Tage vor seinem 74. Geburtstag, verstirbt. Der Mythos Helmut Rahn lebt hingegen weiter. Für die Söhne ist das „Wunder von Bern“ – ein 0:2 in ein 3:2 umzudrehen – eine Metapher fürs ganze Leben. Die Botschaft laute: „Weitermachen, immer weitermachen, sich nicht aufgeben.“