1954 wurde in Essen-Bergerhausen Public Viewing erfunden
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Essen. . Public Viewing wurde zur WM 1954 erfunden: Weil kaum jemand einen Fernseher hatte, guckte man Fußball in der Kneipe. Einer jener magischen Orte war das Weiße Haus. Die Kneipe gehörte den Eltern von Gerd Fabritz. Der Wirt der Rüttenscheider Kneipe “Eule“ war damals 15 Jahre alt und erinnert sich.
Die Kneipe lag Ecke Weserstraße/Rellinghauser Straße, sie gehörte den Eltern von Gerd Fabritz, und sein Vater pflegte zu sagen: „Es gibt auf der ganzen Welt nur zwei Weiße Häuser, das eine steht in Washington, das andere in Bergerhausen.“ Das Weiße Haus in Essen gehörte zu den magischen Orten, an denen heute vor 60 Jahren das Public Viewing erfunden wurde. Den Begriff gab es noch nicht – aber alles was dazu gehört: ein volles Haus, Bildschirm, Ball und Bier.
Die Fußball-Weltmeisterschaft 1954 in der Schweiz, war die erste, die im Fernsehen übertragen wurde, auch wenn sich die meisten Zeitzeugen an die legendäre Radio-Reportage von Herbert Zimmermann erinnern. Radios waren damals allgegenwärtig, Fernsehgeräte rare Luxusgüter. Ein Luxus, der geteilt wurde: Wer einen Fernseher besaß, lud Freunde und Verwandte zum Mitgucken ein, Neugierige drückten sich an Schaufenstern die Nasen platt und Wirte warben mit der neuen Technik. Dass seine Eltern zu den TV-Pionieren zählten erklärt der heute 75 Jahre alte Gerd Fabritz so: „Unsere Familie war total sportbegeistert, und damit wollten wir unsere Gäste anstecken.“
Gerd Fabritz und seine Brüder Peter und Hans-Dieter spielten schon als Kinder Fußball: „Erst mit der Glücksklee-Dose im Hof vom Weißen Haus, dann im Verein am Krausen Bäumchen.“ Und als 1954 das WM-Endspiel gegen Ungarn in der elterlichen Wirtschaft gezeigt wurde, stand der 15-jährige Gerd im Gewühl, Blick aufs Schwarz-Weiß-Bild. „Keine Riesenleinwand wie heute, sondern ‘ne kleine Kiste, aber ich konnte genau sehen, wie der Rahn da durchging.“
Der Laden war voll, die Atmosphäre war irre und die Elf wird unvergessen bleiben, so knapp fasst Fabritz das Jahrhundertereignis zusammen. Einen Autokorso habe es nach dem Titelgewinn der Deutschen nicht gegeben: „Die Leute blieben – und haben jeden Spielzug noch mal durchgezogen.“
Die Geschichte von der Erfindung des Public Viewing könnte hier enden, doch sie nahm beim Weißen Haus von Anni und Hans Fabritz erst ihren Anfang: Die beiden begründeten eine wahre Wirts-Dynastie, und wer den Überblick behalten will, welcher ihrer Söhne wann wo am Zapfhahn stand, der braucht ein Organigramm. Darum schauen wir nur auf Gerd Fabritz, der die Familientradition in der Eule fortsetzte. Die wurde 1958 als Eulenspiegel am Wehmenkamp eröffnet und sitzt seit 1981 an der Klarastraße in Rüttenscheid.
„Wir zeigten Fußball und Boxen, hatten schon Anfang der 60er Jahre einen Farbfernseher“, erinnert sich Gerd Fabritz. Eulenspiegel-TV hieß das damals. Da wurde 1966 übers Wembley-Tor geschimpft, da schwitzten die Gäste mit Muhammad Ali, eingehüllt in Qualm. „Hätte früher einer gesagt: ,Rauch’ hier nicht’ – der wär’ gleich nach draußen gebracht worden.“ Heute stehen draußen die Raucher.
Hinter der Theke steht heute Simon Heidenreich, Fabritz’ Schwiegersohn. Auch er ist Fußballfan, doch während Gerd Fabritz seit über 50 Jahren ETB-Mitglied ist, „ist mein Schwiergersohn ein heißer Rot-Weißer“.
Gemeinsam mit seiner Frau Janine hat Heidenreich die Eule 2006 übernommen, in jenem Jahr, als Deutschland WM-Gastgeber war. Im angegliederten Hotel Fabritz logierten Fans aus aller Welt, die im Trikot zum Frühstück kamen. „Da ging’s richtig los mit Public Viewing“, sagt Heidenreich. Auf ein volles Haus hofft er auch bei den Deutschland-Spielen in diesen Tagen: „Aber WM-Spiele werden inzwischen überall gezeigt, da verteilt sich das. Voll wird’s hier bei Champions-League-Partien.“
Heidenreich sorgt dann für den Biernachschub: „Ich kann zapfen und gucken.“ Gerd Fabritz nickt, er konnte das nicht immer: „Ich hab’ mir immer vorn einen Hocker freigehalten, das war mein Tribünenplatz, wenn’s spannend wurde.“
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