Essen. . Die beiden Fraktionschefs Hiltrud Schmutzler-Jäger (Grüne) und Hans-Peter Schöneweiß (FDP) über die Lage der Messe Essen, das Instrument Bürgerentscheid und die Zukunft der Sparpolitik.

Die beiden Fraktionschefs Hiltrud Schmutzler-Jäger (Grüne) und Hans-Peter Schöneweiß (FDP) über die Lage der Messe Essen, das Instrument Bürgerentscheid und die Zukunft der Sparpolitik.

Herr Schöneweiß, haben die Grünen am Ende doch recht gehabt mit ihrer Kritik an der großen Messe-Lösung? Es scheint auch billiger zu gehen.

Hans-Peter Schöneweiß: Nein, die Position der Grünen bleibt falsch. Es sind Messen abgewandert, das Defizit der Messe Essen steigt von 13,5 Millionen auf 15,5 Millionen Euro pro Jahr. Wir bauen zwischen zwei alten Hallen eine neue rein, das kostet alles viel Geld, bedeutet höhere Unterhaltskosten und hat nicht den rundum positiven Effekt der abgelehnten Pläne. Ich bin davon überzeugt, dass es für Essen am Ende teurer wird.

Hiltrud Schmutzler-Jäger: Nun mal langsam. Wenn wir 2011 das beschlossen hätten, was wir immer wollten, nämlich die Doppelstockhallen zu ersetzen, wären wir 2016 fertig gewesen und die Schweißen und Schneiden hätte 2017 dort stattfinden können. Erst durch die Messe-Ausbaupläne, die zum Bürgerbegehren geführt haben, wurde doch der Zeitplan verkompliziert. Ich bin froh, dass die Messe jetzt einen Geschäftsführer hat, der die Chancen der Messe Essen realistisch sieht. Vor dem Bürgerentscheid wurde uns gesagt, die Messe ist tot. Tatsächlich lebt sie.

Schöneweiß: Sie ist stark unter Druck. Messe-Chef Oliver Kuhrt verkauft die Messe aber immer positiv. Zu Recht, damit der Schaden nicht noch größer wird.

Schmutzler-Jäger: Ich habe den Eindruck, er ist eigentlich ganz zufrieden , dass es nicht zu dieser Großinvestition gekommen ist, weil er auch die Risiken erkannt hatte. Und zum Defizit: Es ist wenig glaubhaft, wenn das Defizit der Messe ganz plötzlich steigt, und dies mit dem Bürgerentscheid begründet wird. Da hätte ich gerne mal genauere Informationen.

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Dass die Aussteller sauer sind über dauernde Änderungen und Verzögerungen, ist aber offenkundig.

Schmutzler-Jäger: Sicher. Aber wir hatten eben leider bisher Geschäftsführer, die keine gute Arbeit abgeliefert haben. Die Wirtschaftlichkeit der abgelehnten Pläne wurde zum Beispiel nie konkret dargelegt.

Schöneweiß: Die Messe agiert am Markt. Da sind Prognosen über so lange Zeiträume schwierig.

Thema Bürgerentscheid: Ist das ein Erfolgsmodell oder wurden beim Messe-Thema die Grenzen deutlich?

Schmutzler-Jäger: Es ist der richtige Weg. Schließlich war es eine der höchsten Investition in der Stadtgeschichte. Ich gebe zu: Vom Grundsatz macht es mehr Sinn, wenn ein Bürgerbegehren aus der Bevölkerung heraus entsteht.

Schöneweiß: Aha, also anders als beim Messe-Thema...

Schmutzler-Jäger: Moment: Durch unsere Initiative sind doch viele Bürger erst aufmerksam gemacht worden, dass hier ein unvernünftiges Großprojekt geplant ist. Parteien haben die Pflicht, aufklärend zu wirken, und dann war das Interesse der Bürger ja auch groß.

Schöneweiß: Ich sehe die Gefahr, dass viele Bürger so komplexe Themen einfach nicht überblicken. Großprojekte haben es sehr schwer, wenn schon eine Minderheit von 15 Prozent reicht, um sie zu kippen.

Themenwechsel: Finanzen. Von den Grünen hört man zuletzt ausgabefreudige Töne. Was ist passiert?

DemokratieSchmutzler-Jäger: Wir stehen zu den Sparbeschlüssen und dem Ziel eines nachhaltigen, generationengerechten Haushalts. Trotzdem haben wir Schmerzgrenzen beim Sport, den Schulgebäuden, der Kultur und der Tarifgestaltung. Wer die fünf TuP-Sparten erhalten und das Grugabad sanieren will, muss ehrlicherweise sagen, dass das Geld kostet. Und auch der Beschluss, die Gehälter bei Stadttochter EABG tarifgemäß zu erhöhen, war richtig.

Schöneweiß: Falsch. Rot-rot-grün hat da Versprechungen gemacht, die nicht einzuhalten sind.

Schmutzler-Jäger: Es ist ungerecht, die Mitarbeiter der Stadttöchter von der Tarifentwicklung abzukoppeln. Der nächste Rat muss da eine grundlegende Regelung finden, das wird eine Zerreißprobe. Die Geschäftsführer verdienen im übrigen gut, die einfachen Mitarbeiter aber nicht.

Schöneweiß: Da stimme ich zu. Die Damen und Herren werden so bezahlt, als würden sie am freien Markt agieren. Das ist aber meist nicht der Fall, da müssen wir ran. Dennoch: Das Geld für die Tariferhöhungen muss im jeweiligen Betrieb selbst erwirtschaftet werden.

Für Investitionen müssen die Sparziele also jedenfalls zurückstehen?

Schmutzler-Jäger: Ja. Wie bei der Messe bin ich aber dagegen, das Geld einfach irgendwo reinzupumpen. Ich will nachvollziehbare Entscheidungsgrundlagen.

Schöneweiß: Bei einigen Beteiligungsgesellschaften sehe ich noch Sparreserven. Warum kommen die Dortmunder Verkehrsbetriebe pro Jahr mit 20 Millionen Euro weniger Defizitausgleich aus als die Evag?

Schmutzler-Jäger: Essen braucht einen guter ÖPNV. Und der Investitionsstau bei der Evag beträgt doch jetzt schon 300 Millionen Euro.

Die FDP tritt immer noch für die A52 ein. Ist das noch sinnvoll?

Schöneweiß: Die Autobahn lässt sich immer noch realisieren, wenn wir Abstriche machen in der Bauausführung. Tunnel sind vielleicht nicht überall nötig, es reichen Lärmschutzwände kombiniert mit Flüsterasphalt. Mich ärgert auch der Unsinn mit dem Umweltzonen, die gar nichts bringen und Umwegfahrten nötig machen, die noch mehr Verkehr produzieren.

Schmutzler-Jäger: Abgesehen davon, dass ich anderer Meinung bin: Die A 52 ist nicht finanzierbar, Punkt. Tragisch ist, dass sich die Essener SPD nicht festlegt, sonst hätten wir das Thema längst auch offiziell vom Tisch und wir könnten uns wichtigerem zuwenden, etwa neuen Plänen für die bisher freigehaltene Trasse. Es ärgert mich auch, dass Fördermittel bevorzugt nach Süddeutschland gehen, wo offenbar bessere Lobbyarbeit geleistet wird.

Schöneweiß: Dort werden eben Straßen und Autobahnen zu Ende gebaut und die wirtschaftliche Erfolge sind entsprechend.

Frau Schmutzler-Jäger, das Freibad „Hesse“ ist soeben eröffnet worden. Sie waren in Bezug auf diese Sanierung immer skeptisch.

Schmutzler-Jäger: Den Bäderkompromiss habe ich akzeptiert. Grundfrage ist: Wir haben zu wenig Mittel, um alle Probleme zu lösen und für die, die wir lösen müssen, fehlt das Geld, siehe Grugabad. Wir müssen also weg von dieser Lobbypolitik

Wie bei Hesse, meinen Sie?

Schmutzler-Jäger: Ja. Politik kann nicht alle glücklich machen. Wenn man damals schon entschieden hätte, lieber das Grugabad zu sanieren, wäre das vernünftig gewesen.

Schöneweiß: Wir waren für die Modernisierung, weil Hesse das letzte Bad im Essener Norden war. Dazu stehen wir. Natürlich müssen wir uns immer fragen, ob überhaupt noch so viele Menschen in die Freibäder gehen. Mir fehlt im Moment die Phantasie, woher das Geld für das Grugabad kommen soll.

Schmutzler-Jäger: Verschieben und weiter verrotten lassen,das geht gar nicht. Das sind doch unsere Anlagenwerte, die müssen wir erhalten.

Schlussfrage: Ist nach der Wahl ein Wiederaufleben des Viererbündnisses, die Zusammenarbeit von CDU, FDP, EBB und Grünen denkbar?

Schmutzler-Jäger: Schwierig das jetzt zu beantworten. Das Messe-Thema war ein Schnitt, aber es hat auch vieles geklappt – solide Haushaltspolitik etwa. Es wird einen vollkommen anderen Rat geben mit komplizierten Mehrheiten.

Sie haben Richtung SPD zuletzt versöhnliche Signale gesendet...

Schmutzler-Jäger: Weil die SPD dazugelernt hat: Hauruck-Politik funktioniert nicht, potenzielle Partner muss man ernstnehmen.

Schöneweiß: Es gab vertrauensvolle Zeiten, aber wenn wir mit den Grünen noch mal zusammenarbeiten, dann mit klaren Verabredungen. Es wird schwieriger, das ist klar.

Schmutzler-Jäger: Da sind wir uns einig.