Essen. . Eine Erzieherin (29) wurde wegen Missbrauchs eines Schülers (13) angeklagt. Während des Verfahrens arbeitete sie völlig unbehelligt in einer Essener Kita, denn niemand hatte den Träger informiert. Von der Verurteilung erfuhr der Arbeitgeber nicht durch die Staatsanwaltschaft – sondern von der Frau.

Völlig unbehelligt hat eine Erzieherin in einer Essener Kita arbeiten können, obwohl gegen sie ein Verfahren wegen Kindesmissbrauchs an einem früheren Arbeitsplatz lief. Der neue Arbeitgeber – der Kita-Zweckverband im Bistum – war schlicht ahnungslos. Selbst nachdem die 29-Jährige am 14. Februar zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt worden war, setzte niemand den Kita-Zweckverband offiziell in Kenntnis.

Dabei gibt es gesetzliche Regelungen über die „Mitteilungen in Strafsachen“, die gerade beim Kinderschutz penibel befolgt werden sollten. Doch nicht die hier zuständige Staatsanwaltschaft informierte den Zweckverband, sondern die Frau selbst: Am 17. Februar schrieb sie in einer Mail an ihre Vorgesetzte von ihrer Verurteilung. Nun wurde sie sofort freigestellt. „Obwohl sie uns nicht verraten hat, um welches Vergehen es ging. Es hätte ja Steuerhinterziehung sein können“, sagt der Geschäftsführer des Kita-Zweckverbandes, Peter Wenzel.

Kita-Zweckverband erfuhr von der Verurteil erst durch Anruferin

Dass es sich um ein für die Arbeit mit Kindern viel heikleres Delikt handeln sollte, erfuhr man beim Kita-Zweckverband am 18. Februar durch eine Anruferin. Sie habe das Verfahren verfolgt und gehört, dass die Verurteilte in einer Kita des Zweckverbandes arbeite. Anders als die Staatsanwaltschaft war die Dame zu dem Schluss gekommen, „dass es meine Pflicht ist, Sie zu informieren“. Den Fall kannte Wenzel aus der Zeitung: Die Erzieherin hatte im Ganztag einer Essener Realschule ein Verhältnis mit einem 13-Jährigen angefangen und diesen ein Jahr lang sexuell missbraucht und bedroht, bis zum August 2012.

Als sie im März 2013 beim Kita-Zweckverband einen Jahresvertrag unterschrieb, konnte sie noch ein sauberes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. „Das fordern wir immer“, so Wenzel. Erst drei Monate später wurde Anklage gegen die Erzieherin erhoben. Über diese Anklageerhebung habe man, sagt die Staatsanwaltschaft Essen, „die zuständigen Stellen“ informiert.

Landesjugendamt liegt keine Info von Staatsanwaltschaft vor

Das wäre etwa das Landesjugendamt, das die Meldung dann an den betroffenen Träger weitergeben sollte. Doch dort heißt es: „Uns liegt keine Mitteilung der Staatsanwaltschaft vor.“ Mit dieser Aussage konfrontiert, sagt der für Presse zuständige Oberstaatsanwalt Rainer Kock nun: „Wir haben am 6. Juni 2013 eine Mitteilung über die Anklageerhebung an das Essener Jugendamt gemacht.“ Allein: Auch die Leiterin des Essener Jugendamtes, Christina Bäuerle, kann den Eingang dieser Mitteilung nicht bestätigen.

Ein Berufsverbot durch die Hintertür

Ein Berufsverbot hat das Gericht nicht gegen die 29 Jahre alte Erzieherin verhängt, als es sie am 14. Februar diesen Jahres wegen sexuellen Missbrauchs zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilte.

Dabei hatte man sich wohl auf die Gutachterin gestützt, die nicht von einer Wiederholungsgefahr ausging. „Sie sprach von einem Einzelfall; die Frau habe sich in einer extremen Lebenskrise befunden“, sagt Rüdiger Gardeya. Er ist Anwalt des 13-Jährigen, der von der Frau missbraucht worden war. Dass diese pädophile Neigungen habe und damit eine Gefahr für Kleinkinder darstelle, glaubt Gardeya nicht. „Aber ich hätte ein seltsames Gefühl, wenn sie weiter in einer Kita arbeitete. Auch ohne sexuelle Gedanken könnte sie Kinder unter Druck setzen.“

Der Gesetzgeber lasse hier ebenso Vorsicht walten, sagt die Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft, Anette Milk. Im achten Buch des Sozialgesetzesbuches heiße es, „die Träger der öffentlichen Jugendhilfe dürfen keine Personen beschäftigen, die rechtskräftig wegen einer Straftat wie zum Beispiel sexuellen Missbrauchs verurteilt sind“. Die betreffenden Delikte liste der Paragraph 72 a auf. Auch die freien Träger seien gehalten, einschlägig vorbestrafte Mitarbeiter nicht anzustellen. „Faktisch kommt das einem Berufsverbot gleich“, betont Milk. Darum sollen sich die Träger regelmäßig polizeiliche Führungszeugnisse der Mitarbeiter vorlegen lassen.

Nun, da das Urteil gegen die Erzieherin rechtskräftig ist, wird auch ihr Führungszeugnis einen Vermerk bekommen; als Erzieherin wird sie nun wohl niemand mehr einstellen. Die junge Frau möchte sich ohnehin beruflich neu orientieren.

Kurz: Weder eines der Jugendämter noch den Kita-Zweckverband erreichte die Nachricht über die Frau, die künftig gar nicht mehr als Erzieherin in einer Kita eingestellt werden darf. Dabei hatte Kocks Pressesprecher-Kollegin, Oberstaatsanwältin Anette Milk, gegenüber der Redaktion versichert, man hätte den Kita-Träger auch direkt informiert, wenn er nur bekannt gewesen wäre. Doch leider habe die Angeklagte ihren Arbeitgeber ja nicht benannt. Woher wusste dann aber die Prozessbeobachterin Bescheid, die beim Kita-Zweckverband anrief?

Vor Gericht habe die Angeklagte gesagt, dass sie mit Kindern arbeite

Der Anwalt des missbrauchten Jungen, Rüdiger Gardeya, sagt dazu, vor Gericht sei offen über die Berufstätigkeit der Angeklagten geredet worden. „Sie hat selbst erzählt, dass sie mit kleinen Kindern arbeitet“, sagt er. „Die Mutter des Jungen fragte mich schockiert, wie das sein könne.“ Gardeya glaubt, die Staatsanwaltschaft „hätte in einer Stunde herausfinden können, wo die Frau arbeitet“. Dass es der Kita-Zweckverband sei, habe er jedenfalls gehört, „im Gerichtssaal oder im Gespräch mit der Sachverständigen“.

Nur Peter Wenzel hörte davon nichts. „Wir haben ein strenges und umfangreiches Verfahren, wir stellen Mitarbeiter sogar bei Verdachtsfällen erstmal frei“, betont der Geschäftsführer der Zweckverbandes: „Damit das greift, müssen wir allerdings auch von den zuständigen Stellen informiert werden.“