Essen. Eine 50 Jahre alte Essenerin hat eine Selbsthilfegruppe für Opfer sexueller Gewalt gegründet. Als Neunjährige wurde sie von ihrem Stiefvater vergewaltigt, später von ihrem Ehemann. Weil sie sich niemandem anvertrauen konnte, brach sie zusammen und erkrankte schwer. Nun möchte sie sich selbst und anderen helfen.
„Ich war ein angepasstes Kind. Sehr lieb.“ Immer ängstlich, nur nicht auffallen. „Für Kinder, die missbraucht wurden, ist das nicht untypisch“, sagt die heute 50-jährige Rebekka, die jetzt in Essen eine Selbsthilfegruppe für Opfer sexueller Gewalt gründete, „um meiner Geschichte einen Sinn zu geben“.
Als es zum ersten Mal passierte, war sie neun. Ob sie sich jemandem anvertraut hat? „Nein. Mein Vater hat mir gesagt: ,Dir glaubt doch sowieso keiner‘ und: ,Dann hat die Mama dich nicht mehr lieb‘.“ Erst fünf Jahre nach dieser ersten Vergewaltigung bricht Rebekka ihr Schweigen. Die Mutter will ein klärendes Gespräch mit beiden, „aber mit 14 Jahren konnte ich mich argumentativ gegen meinen Vater natürlich nicht verteidigen.“ Zu diesem Zeitpunkt ist die Familie längst zerrüttet, stehen die Eltern vor der Scheidung, „also ließ meine Mutter den Missbrauch auf sich beruhen“, sagt Rebekka. Ein Vertrauensbruch, dem ein weiterer folgt: „Ein Jahr später habe ich dann erfahren, dass dieser Mann gar nicht mein leiblicher Vater, sondern mein Stiefvater ist.“
"Ich habe eine lange Krankengeschichte"
Weitere 30 Jahre später wird Rebekkas Mutter erzählen, dass sie nicht aus Hilflosigkeit, aus Überforderung und Fassungslosigkeit schwieg, „sie hat sich mit meinem Stiefvater darauf verständigt, zu schweigen.“ Nach Außen trägt auch Rebekka das Erlebnis nicht, doch in ihr arbeitet es. „Rückblickend – ich habe eine lange Krankengeschichte. Vieles davon hat psychosomatische Ursachen“, sagt sie. Als mit über 30 Jahren eine massive Angststörung hinzu kommt, beginnt sie eine Therapie. Ein weiter Weg, der sich gelohnt habe. „Ich habe viel über mich gelernt. Warum ich zum Beispiel mit manchen Verhaltensmustern reagiere und viele Dinge aus Angst nicht tun kann.“
Austausch mit anderen Betroffenen
„Ich bin völlig zusammengebrochen, war über Monate krankgeschrieben“, sagt Rebekka. Nur langsam fand sie wieder zu sich, verarbeitete den neuerlichen Missbrauch. „Ich weiß, dass ich damit nicht allein bin und dass die Dunkelziffer hoch ist.“ Doch will sie nicht zu denen gehören, die das Erlebte immer weiter stumm vor sich her tragen. „Seit ich in meinem engeren Umfeld darüber rede, habe ich das eine oder andere Mal gehört: ,Das ist mir auch passiert‘.“ Auf Unterstützung und Mitgefühl stieß sie, seit sie mit dem zweifachen Missbrauch offen umgeht. Austauschen will sie sich in der Gruppe mit anderen Betroffenen.
„Viele Frauen, die sich geöffnet haben, haben dabei schlechte Erfahrungen gemacht.“ Manche haben auch Scham davor, es zu erzählen. „Durch meine Ausbildung kenne ich mich in der Psychologie ganz gut aus. Darum lautet meine Regel für die Gruppe: Jeder achtet auf sich und seine eigenen Grenzen. Man sollte nicht mehr erzählen, als die anderen mittragen können und einem selber gut tut.“