Essen. . Sahra Khodja floh als Kind aus Afghanistan, fasste hierzulande Fuß und träumte schon vom Arztberuf. Doch schwere Krankheiten durchkreuzten ihre Pläne. Aufgeben will die junge Frau aber nicht .

Sie galt als Musterbeispiel der Integration, die die gefahrvolle Flucht aus Afghanistan scheinbar mühelos verkraftete und in ihrer neuen Heimat ausgezeichnet wurde – als „Essens Beste“. Das war 2005 und Sahra Khodja berichtete vor Schulklassen von ihrem Schicksal und ihren Zukunftsplänen: Für Ärzte ohne Grenzen wollte sie einmal arbeiten. Heute ist sie 28 und musste nicht nur diesen Traum begraben. Ihr Körper machte nicht mehr mit.

Sahra Khodja wurde im Krieg geboren. „Meine Mutter und meine Geschwister starben beim Bombenanschlag“, erzählt sie. Ihr Vater wurde erschossen. Für ihre Flucht zahlten die 13-Jährige und ihre Großmutter viel Geld an Schleuser, verbrachten die Tage in Kellern, liefen nachts neun Monate lang durch Wälder und Berge; von Pakistan, Kasachstan und der Ukraine. An den Landesgrenzen wurde die Gruppe immer wieder an neue Banden übergeben, „die uns wie Gegenstände behandelten“. Tausende Kilometer lief sie in der Angst um ihr Leben, ohne sich zu waschen, bestohlen bis auf das, was sie am Körper trug. Zu essen gab es selten, manchmal kratzte sie Waldboden, um etwas im Magen zu haben.

Deutschland als gewaltigen Kulturschock

Das Erste, was sie von Deutschland sah, war das Chemnitzer Gefängnis – als illegale Einwandererin. Über Umwege kam sie zu einem Onkel nach Essen, wo sie bis heute mit ihrer Oma in einer bescheidenen Wohnung in Altenessen-Nord lebt. Sie erlebte Deutschland als gewaltigen Kulturschock – und Chance: „In meiner Heimat hätte ich als Mädchen nicht zur Schule gehen können.“ Hier strengte sich Sahra Khodja in der Schule an, obwohl sie anfangs kein Wort verstand. Sie lernte unermüdlich, erntete gute Noten und den Schulabschluss und hoffte auf ein Medizinstudium.

Weil sie inzwischen wusste, dass sie dorthin nur auf Umwegen gelangen würde – auch aus Geldmangel – schrieb sie Bewerbungen für eine Ausbildung, bekam Zusagen – und konnte erst keine Arbeitserlaubnis vorweisen. „Ich lebte damals ohne Asyl, fürchtete immer, abgeschoben zu werden.“ Dank eines Schreibens des Klinkums, das ihr eine Ausbildungsstelle garantierte, erhielt sie endlich ein Aufenthaltsrecht. So überwand sie die nächste Hürde, machte sogar zwei Ausbildungen am Klinikum, arbeitete in der Ambulanz der Kinderklinik. Schließlich erhielt Sahra Khodja die deutsche Staatsbürgerschaft und einen unbefristeten Arbeitsvertrag in dem Beruf, den sie so sehr liebte.

Krankheiten nahmen Beruf und Lebensfreude

„Doch vor drei Jahren blieb mein Leben stehen“, sagt sie heute. Krankheiten nahmen ihr den Beruf und die Lebensfreude. Lange Zeit schon hatten Sehstörungen, Kopf- und Knochenschmerzen sie begleitet und an die Grenze ihrer Belastbarkeit gebracht. Die 28-Jährige leidet an einer sehr spät erkannten Borreliose, an weiteren Infektionen und Nervenschmerzen. Sie lebt heute von einer kleinen Rente und ist zu 50 Prozent schwerbehindert.

Denn die Frau, die mit Blick auf ihren Berufswunsch einmal sagte: „Menschen zu helfen, das ist der Grund, warum wir auf der Welt sind“, fand selbst bislang keine wirkungsvolle Hilfe: Sie hat eine Odyssee durch Arztpraxen hinter sich; zahllose Diagnosen erhalten: von Multipler Sklerose, über Malaria bis zu posttraumatische Belastungsstörungen. Sogar Drogenkonsum wurde ihr unterstellt. Schmerztherapien schlugen nicht an, der Psychologe konnte ihr nicht helfen: „Über die Vergangenheit zu reden, macht mich nicht gesund.“ Sie sei ein Mensch, der in die Zukunft blicke.

Prognosen der Ärzte sind offen

Unterstützt wird sie dabei von einer Selbsthilfegruppe, auch fährt sie zu Fachärzten in Düsseldorf und Pforzheim. Sie nimmt Medikamente für die Schilddrüse und gegen die Gallenblasenentzündung und hofft, dass sich ihr Körper erholt. Doch die Prognosen der Ärzte sind offen.

„Ich gebe nicht auf“, sagt Sahra Kohdja. Genau so lautete 2004 eine Überschrift, unter der das NRW-Wirtschaftsministerium ein Porträt von ihr veröffentlichte. Damals ging es um Potenziale für die Wirtschaft, heute geht es um ihr Leben: „Jetzt brauche ich professionelle Hilfe.“