Essen. Die Eltern von Bahriye Aktas waren arme Einwanderer aus einem türkischen Dorf. 1969 kamen sie nach Deutschland. Heute ist ihre Tochter stellvertretende Direktorin der Klinik für Frauenheilkunde in Essen und Expertin in der Brustkrebsforschung. Sie hat den Aufstieg aus eigener Kraft geschafft.

Wer aus einem Akademikerhaushalt stammt, wird häufig selbst Akademiker, wer sich von unten hocharbeiten muss, der hat es meist schwerer. Dennoch gibt es gar nicht wenige Aufsteiger-Geschichten, die Mut machen können, die zeigen, dass in dieser Gesellschaft weit mehr möglich ist, als mancher behauptet. Ein Beispiel für einen bemerkenswerten Aufstieg ist die Essener Ärztin und Privatdozentin Dr. Bahriye Aktas. Seit zwei Jahren ist die 38-Jährige stellvertretende Direktorin der Klinik für Frauenheilkunde, vor einigen Monaten hat sie sich habilitiert, ist also befugt, an der Universität über ihr Fachgebiet zu lehren. In der Brustkrebs-Forschung ist Bahriye Aktas eine Kapazität, auch auf internationalen Kongressen präsentiert sie ihre Forschungsergebnisse zur Verbesserung der Therapie und Diagnostik.

Den Kindern Chancen eröffnen

All das war so nicht unbedingt zu erwarten, als ihre Eltern 1969 aus einem Dorf an der türkischen Schwarzmeerküste nach Gelsenkirchen-Buer kamen, wo der Vater als Bergmann auf Zeche Hugo arbeitete. Wer die Nachbarstadt kennt, weiß: Der Stadtteil Buer ist eine Welt für sich, wird ungern mit dem Rest von Gelsenkirchen in einen Topf geworfen. „Ich bin Bueranerin“, sagt Aktas lächelnd, „Bueraner ist, wer in Buer geboren ist.“ Buer gilt als bürgerlich wohlhabend, bei den Aktas ging es aber eher bescheiden zu. So extrem wenig Bildung die Eltern aus sozialen und finanziellen Gründen von Haus aus mitbrachten, so stark war die Neigung, den zwei Söhnen und zwei Töchtern so viele Chancen zu ermöglichen, wie es irgend ging. Als ausgerechnet die Töchter studieren wollten, und das sogar auswärts, „war das zu Hause aber doch begründungspflichtig“, sagt Aktas. „Da mussten meine Eltern über ihren Schatten springen, türkische Mädchen wachsen sehr behütet auf.“ Natürlich sind sie heute mächtig stolz auf ihre so erfolgreiche Tochter.

Das Ziel ist die eigene Klinik

Schambesetzt war bei älteren türkischen Frauen der Gang zum Frauenarzt, Bahriye Aktas hatte das als Begleiterin und Übersetzerin hautnah miterlebt. „Hier entstand der Wunsch, Frauenärztin zu werden“, sagt sie. Das Studium in Gießen absolvierte sie in der kürzest möglichen Zeit, den ersten Stellen an Krankenhäusern folgte rasch mehr Verantwortung. Und wenn es nach Bahriye Aktas geht, dann darf es noch weiter nach oben gehen. Die Leitung einer Klinik ist ihr Ziel in einem Beruf, den sie - wie viele Ärzte - mit großer Leidenschaft ausübt.

Das klingt alles sehr glatt, aber sie hat bei allen guten Erfahrungen mit der Durchlässigkeit des deutschen Bildungs- und Universitätssystems auch Situationen erlebt, in denen andere die türkische Herkunft zum Problem machten. Nicht vergessen hat sie die herablassende Behandlung im Sekretariat eines Gießener Medizinprofessors, bei dem Bahriye Aktas als 19-Jährige vorsprechen musste. „Fast führte das dazu, dass ich auf dem Absatz kehrt machte.“ Ihre große Schwester, die sie begleitete, verhinderte das und sie bekam den Studienplatz - obwohl sie nicht versäumte, sich zu beschweren. „Das ist wichtig, weil sich sonst nichts ändert.“

„Sie sprechen aber gut Deutsch...“

Eher amüsant findet sie mittlerweile die als Lob gemeinten gönnerhaften Bekundungen, die jeder türkischstämmige Akademiker kennt: „Sie sprechen aber gut Deutsch“, oder „Sie wirken gar nicht so türkisch...“ Dass Patienten sie manchmal für eine Krankenschwester halten, und fragen, wann denn der Oberarzt nun käme, hat weniger etwas mit ihren türkischen Wurzeln zu tun. „Das erleben deutsche Ärztinnen auch.“ Eine Frage der Zeit wohl, bis auch der letzte merkt, dass Frauen selbstverständlich Spitzenpositionen erringen und ausfüllen.

Die Karriere von Bahriye Aktas gelang jedenfalls aus eigener Kraft und ohne jene wohlmeinende Förderkulisse, die den einzelnen Migranten vielleicht manchmal mehr behindert, als ihm nützt. Am Ende zählt, dass man etwas leistet. Alles andere, findet Aktas, sollte zunehmend unwichtig werden.