Deutsch-französische Versöhnung über altem Schützengraben
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Essen. . Karl Heinz van Heek aus Heisingen hat das Kriegstagebuch 1915/16 seines Vaters Hermann nach Frankreich gebracht. In Noyon, wo dieser als Kanonier stationiert war, fand das Buch ein enormes Echo. Der dortige Geschichtsverein übersetzte es und druckte ein Buch, das in den Schulen auf dem Stundenplan steht.
„Schauen Sie mal, wie schön mein Vater geschrieben hat.“ Karl Heinz van Heek (76) aus Heisingen blättert in Aktenordnern voller Feldpostbriefe, Fotos und Urkunden. Kostbare Dokumente, die ihm sein Vater Hermann (1882 - 1980) vermacht hat: ein starkes Stück Erinnerung an dessen Zeit als Kanonier im Ersten Weltkrieg. Liebevoll abgeheftet in Klarsichthülle. Ein einzelnes deutsches Soldatenschicksal und dennoch typisch für das, was Millionen junger Infanteristen, Grenadiere und Wehrmänner an Kriegsgräueln und „Stahlgewittern“ erfahren und erleiden mussten.
Jahrzehnte lang schlummert dieser „Schatz“ in einem schlichten Pappkarton. Erst als Karl Heinz van Heek, Professor und DMT-Abteilungsleiter, pensioniert wird, macht er sich an die Arbeit. Überträgt Vaters Kriegstagebuch von der schwungvollen Kurrentschrift jener Tage akribisch auf den Computer. So lange, bis er ein einzigartiges Buch und Zeitdokument in Händen hält. „217 Briefe hat er im Krieg an die ‘Lieben Eltern und Geschwister’ geschrieben, oft drei Mal in der Woche“, sagt van Heek.
Mehrere Reisen nach Frankreich
Heute bereut der leidenschaftliche Familienforscher, dass er die erschütternden Weltkriegs-Erinnerungen des Vaters erst 20 Jahre nach dessen Tod aufgearbeitet hat. „Hätte ich früher angefangen, hätte ich Vater ins Auto gesetzt und wäre mit ihm nach Frankreich gefahren.“
Nach Frankreich, genauer nach Noyon (100 Kilometer nördlich von Paris), jenem Picardie-Städtchen, in dem der Kanonier van Heek stationiert war, ist der Sohn trotzdem gefahren. Zum ersten Mal 2005, danach häufiger. „An einem Montagmorgen hat meine Frau Mariele in Noyon angerufen und vom Kriegstagebuch berichtet. Eine unerwartete Nachricht, die den örtlichen Geschichtskreis, die „Société historique“, förmlich elektrisiert hat. Drüben, im ehemaligen „Feindesland“ haben sie die Geschichte(n) der eigenen Soldaten, der „Poilus“, längst gründlich aufgearbeitet. Aber was der deutsche Soldat in jenen Tagen auf der anderen Seite des Schützengrabens erlebt und erleidet, fühlt und träumt, das ist ein weitgehend ungeschriebenes Kapitel in „La Grande Guerre“, dem Großen Krieg, wie die die Franzosen den 1. Weltkrieg zu nennen pflegen.
Schon mehr als 1000 Exemplare gedruckt
Das Interesse am Tagebuch ist so überwältigend, dass sich die van Heeks schon am nächsten Tag ins Auto setzen und ihren „Schatz“ bereits am selben Nachmittag vor dem staunenden und faszinierten Geschichtskreis ausbreiten.
„Das Tagebuch wurde ins Französische übersetzt und schnell in über tausend Exemplaren gedruckt“, berichtet Karl Heinz van Heek. In den Schulen steht der spektakuläre Band („Un Soldat allemand dans le Noyonnais - Hermann van Heek - mon journal de guerre 1915-16“) seitdem auf dem Stundenplan. „Überall in Noyon hingen damals Werbeplakate für das Buch in den Schaufenstern“, sagt Mariele van Heek.
Auf der Schlachtbank brutal verheizt
Die van Heeks besitzen seit Jahrzehnten ein Häuschen in der Auvergne, man spricht Französisch, kennt und mag Land und Leute. In Noyon, quasi über dem Schützengraben, kommt es 90 Jahre nach dem Gemetzel zu anrührenden deutsch-französischen Versöhnungsszenen. Denn zusammen begeben sich die Nachfahren der „Erzfeinde“ zu jenen Originalschauplätzen, die Hermann van Heek detailliert beschreibt: etwa zu den Bauernhöfen und Bunkern im „Bois de la Réserve“, wo noch immer deutsche Namen und Sätze in Holz oder Beton geritzt sind. Hermann van Heeks Tagebuch zeigt den Franzosen: Auch die deutschen Soldaten sind oft einfache Jungs vom Lande, die von ihren Marschällen widerwillig auf die Schlachtbank geworfen und brutal verheizt wurden. „Ich empfinde große Dankbarkeit, weil wir schon so lange in Frieden leben“, sagt Karl Heinz van Heek.
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