Rötger Neuhaus schreibt in seinem Buch "Bomber über der Ruhr" über seine Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg und unter der Nazi-Herrschaft. Grundlage dafür ist sein Tagebuch aus damaliger Zeit
Er ist kein Mann für Sentimentalitäten. Mit seinen 82 Jahren hat Rötger Neuhaus eine ziemlich klare Meinung von dem, was ihm in seinem Leben widerfahren ist. Gerade ist die zweite Auflage seines Buches "Bomber über der Ruhr - Aus dem Tagebuch eines Flakhelfers" erschienen. Vor vier Jahren hat er es geschrieben. "Der Anlass war die öffentliche Diskussion um Günther Grass als Flakhelfer", erzählt er.
Dieser Diskussion setzte Neuhaus seine eigenen Aufzeichnungen entgegen - das Tagebuch, das er als junger Mann führte, hatte lange Zeit unbeachtet in einer Kiste gelegen. Er gehörte damals zu einer Generation, die die Nazis skrupellos für ihre Kriegsziele und Ideologie manipulierten. Neben seinen Erinnerungen enthält das kleine, gelb-schwarz melierte Büchlein auch Fotos des jungen Rötger, wie er im Handstand auf einem Klavier balanciert, Zeichnungen, die er im Krieg anfertigte, Zeitungsausschnitte, unter anderem über die Bombardierung der Möhnetalsperre, die Luftangriffe auf das Ruhrgebiet, Flakhelfer-Einsätze, Dokumente - ein ganzes Sammelsurium von Versatzstücken der Kriegszeit.
Mit elf Jahren hat Rötger Neuhaus angefangen, sein Tagebuch zu führen. Sein erster Eintrag vom 22. Juni 1937 erzählt von einer Ferienfahrt an den Rhein. "Da habe ich noch ordentlich geschrieben", sagt er und schaut lächelnd in sein Büchlein. Besonders beeindruckt hatte den Jungen damals die Fahrt auf der Autobahn. "Das war noch etwas Besonderes." 1941 verschlug es ihn dann in sein erstes Segelfluglager.
Immer wieder findet er etwas in seinem Tagebuch, das ihn interessiert. Zum Beispiel eine Eintrittskarte: "Das Erstaunliche war, dass 1943 noch Theater geöffnet hatten", sagt er mit Blick auf das Billett für den "Barbier von Sevilla".
Mit 17 Jahren war erst einmal Schluss mit dem kulturellen Leben: "Da habe ich mich freiwillig zur Luftwaffe gemeldet - die Angriffe wurden immer schlimmer." Nicht bloß aus Patriotismus meldete er sich. "Wenn ich mich freiwillig meldete, konnte ich nicht mehr zur Waffen-SS eingezogen werden - das war das Schlimmste, wenn man da hin musste." An der Front durften die Soldaten sich keine Notizen machen - zu groß die Gefahr, solche Niederschriften könnten in Feindeshand gelangen. Als Neuhaus schwer verwundet in russische Kriegsgefangenschaft kam, fing er wieder an zu schreiben - heimlich, auf kleinen Kalenderblättern, die er zufällig fand. "Ich musste immer enger schreiben, weil der Vorrat nicht nachgefüllt werden konnte."
Fast ein Jahr lang blieb Neuhaus in Gefangenschaft - auf dem Gefangenentransport nach Frankfurt/Oder nutzte er die Gelegenheit zur Flucht. "Ich bin vorm Russen geflohen - auf Krücken. Als ich 1946 nach Hause kam, wollte ich von all dem erst einmal nichts mehr wissen", erinnert er sich. Eine erbärmliche Zeit sei das gewesen, fast ein Jahr wurden seine Kriegsverletzungen im Bochumer Bergmannsheil behandelt, beide Knie waren kaputt, das Gehör stark in Mitleidenschaft gezogen. Viele Jahre sind vergangen, bevor der Sprockhöveler seine Erinnerungen wieder aus der Kiste hervorkramte. Ein echtes Tagebuch führt er heute nicht mehr - er macht sich lieber kurze Alltagsnotizen. Sein Buch hat der im vergangenen Jahr verstorbene Schriftsteller Walter Kempowski mit einem Nachwort versehen.