Essen. . Die Temperaturen über 20 Grad haben in Essen die Rekorde der vergangenen hundert Jahre geknackt.Die Gartencenter kommen in die Bredouille, die Spargelbauern hoffen auf eine frühe Ernte.
Auf dem Baldeneysee schippert die Weiße Flotte, im Seaside-Beach räkeln sich die ersten Naherholer in Bikini und Badehose bei über 20 Grad und Sonnenschein. In den Blumencentern verlangen die Essener nach Grillkohle, Schneckengift und Gartenmöbeln und der Wetterdienst NRW rief am Sonntag für weite Teile des Landes die zweithöchste Waldbrandstufe aus, bei der öffentliche Wege in Wäldern nicht mehr verlassen werden dürfen.
Nichts Ungewöhnliches für den Sommer. Für die ersten Märztage aber ein „enormer Rekord“, bestätigt Franz Molé vom Wetterdienst Essen die diffuse Wahrnehmung. „Das ist der wärmste Märzbeginn seit Aufzeichnung der Wetterdaten vor hundert Jahren“, hat der Meteorologe nachgeprüft. In den vergangenen Jahren seien Essen um den 10. März herum durchschnittlich bescheidene acht Grad beschert worden. Überrascht ist der Meteorologe jedoch nicht. „Der ganze Winter war schon ein Ausreißer. Die Temperaturen lagen im Schnitt zehn Grad über dem üblichen Durchschnitt und wir hatten nur vier Frosttage“, erklärt Molé vom Wetterdienst. Das passe durchaus zu den Vorhersagen der Klimaforscher über die Erderwärmung. „Wahrscheinlich werden wir die Rekorde der vergangenen 100 Jahre immer wieder knacken“.
Biergärten öffnen früher
Den Gastronomen soll’s recht sein. Die lassen die Biergartensaison einfach früher beginnen. So öffneten das Lukas in Kupferdreh, das Nefeli in Frohnhausen oder auch das Jagdhaus Schellenberg schon am Wochenende ihre Pforten. Und auch die Jungfernfahrt der Weißen Flotte für diesen Frühling soll keine Ausnahme gewesen sein. „Der offizielle Fahrplan startet zwar erst Ende April. Wenn das Wetter aber an den Wochenenden so schön bleibt, werden wir auch weiterhin Seerundfahrten anbieten“, sagt Evelin Hoppe. Im letzten Jahr sei das unvorstellbar gewesen. „Da war es noch so kalt und ungemütlich“, erinnert sich Hoppe.
Doch nicht jeder kann dem vorgezogenen Sommergeschäft die Hand reichen. „Die Leute wollen am liebsten jetzt schon Fuchsien oder Geranien kaufen“, erzählt Flora-Marktleiter Hans-Jürgen Katzinski. Das seien allerdings klassische Sommerpflanzen, die er jetzt noch nicht liefern könne und die den möglichen Frost auch nicht überstehen würden. Die klassischen Frühlingsblüten wie Primeln, Bellis oder Vergissmeinnicht blieben hingegen in den Regalen. „Wir haben mit Stiefmütterchen einen guten Kompromiss gefunden“, meint Katzinski. Den milden Winter merkt das Gartencenter dem Einkaufverhalten seiner Kundschaft ebenfalls an. „Extrem ungewöhnlich ist, dass die Leute jetzt schon Schneckengift und Pflanzenschutz gegen Blattläuse kaufen“, sagt Katzinski. Auch Gartenmöbel, Sonnenschirme und alles rund um den Grill stehe bereits hoch im Kurs. Ein besseres Geschäft erhofft sich der Marktleiter jedoch nicht unbedingt. „Beet ist Beet. Wenn’s einmal voll ist, kaufen die Leute eben später keine Blumen mehr.“
Auch an der Stadttochter „Grün und Gruga“ gehen die sommerlichen Temperaturen nicht unbemerkt vorbei. „Es war bisher wirklich ungewöhnlich trocken in diesem Jahr“, hat Eckhard Spengler beobachtet. „In einigen Parkanlagen müssen wir bald schon zusätzlich bewässern, vor allem auf Beeten, die der Sonne ausgesetzt sind“, sagt Spengler. „Im letzten Jahr hatten wir bis April Frost und dieses Jahr schlagen die Temperaturen ins andere Extrem aus.“
15 bis 18 Grad bis Ende der Woche
Die sommerlichen Tage bescheren Essen derzeit der Hochdruckeinfluss mit seinen südlichen Winden vom Mittelmeer, erklärt Franz Molé vom Wetterdienst Essen. Anhalten soll das Gute-Laune-Wetter mit seinen geschmeidigen 15 bis 18 Grad noch bis Ende der Woche. Ab Samstag müssen sich die Essener allerdings wieder mit eher badeshortsfeindlichen zwölf Grad begnügen. „Mit einem klassischen Wintereinbruch ist aber definitiv nicht mehr zu rechnen“, ist sich Molé sicher. Daher hoffen auch die Spargelbauern in NRW auf einen frühen Erntestart. Bei andauernd gutem und sonnigem Wetter könnten um den 25. März herum die ersten Stangen gestochen werden, sagte Ralf Große Dankbar, Spargelberater der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen. Auch die Spargelbetriebe erleben damit das Gegenteil des Frühjahrs 2013: Denn da kam die Spargelernte erst Anfang Mai richtig in Fahrt.
Das alles birgt jedoch auch eine Gefahr: „Die Pflanzen sind zwar auf dem Stand von Mitte April“, erklärt Franz Molé. „Die Nächte mit Bodenfrost machen den Landwirten ihren Beruf aber trotzdem wieder zum Angstgeschäft“. Bis April müssten sie um ihre schon jetzt in voller Blüte stehenden Obstbäume oder eben auch um die Spargelstangen noch zittern.