Essen. Mehr als 22.000 Kinder und Jugendliche leben in Essen von sozialen Leistungen: Einige von ihnen kommen ins Förderturmhaus, wo es für sie ein warmes Essen, Hilfe bei den Hausaufgaben und Zuwendung gibt. Mit Handy und Spielekonsole sind sie meistens gut ausgestattet.
„Arme Kinder haben nichts“, sagt Kai*. Keine Spielsachen, kein Essen, und ihre Kleider müffeln, beschreibt der Neunjährige. Er würde diesen Kindern etwas geben, wenn er sie treffen würde. Mike* hat arme Menschen gesehen, „die Flaschen suchen, weil sie kein Geld haben“, sagt er. „Arme sitzen auf der Straße in Decken und sammeln Geld in Bechern“, erzählt Lea* (7), die später Künstlerin werden möchte.
Kai, Mike und Lea kommen nach der Schule ins Förderturmhaus, wo sie Mittagessen und Hilfe bei den Hausaufgaben erhalten. Bei Bedarf gibt es eine Winterjacke oder passende Schuhe und eine Umarmung. Es ist oft das, was in ihren Familien fehlt. Die Eltern der meisten Kinder, die in das Haus im Ostviertel kommen, sind auf Hartz IV angewiesen. In Essen sind es über 22.000 Kinder und Jugendliche, die mit ihren Eltern von der Grundsicherung leben.
40 Grundschüler werden im Förderturmhaus betreut. „Fast jedes Kind kommt, ohne bis dahin etwas gegessen zu haben“, sagt Leiterin Cornelia Keybeck. Einige sind so auffällig, dass die Nachmittagsbetreuung in der Schule nicht reicht. Hier im Haus kümmern sich zwei Mitarbeiter um zehn Kinder.
Wettergerechte Kleidung ist ein großes Thema
Zu Hause, sagt Cornelia Keybeck, sind deren Eltern manchmal berufstätig, oft überfordert oder mit sich beschäftigt. Es gibt Kinder, die den Haushalt übernehmen, die Essen nur auf dem Boden vor dem Fernseher kennen, weil schon ihre Eltern vor dem Bildschirm aufgewachsen sind. Manche bringen vor der Schule ihre Geschwister zum Kindergarten. „Es ist Zeit, die den Kindern genommen wird“, sagt Cornelia Keybeck, die früher gedacht hat: „Das gibt es nur im TV.“
Heute weiß sie aus eigener Erfahrung, dass manche Eltern Kleider, Essen und Hygiene für zweitrangig halten. „Die Schuhe, in denen die Kinder kommen, sind meistens zu klein“, sagt sie. Kinder wettergerecht anzuziehen, ist ein großes Thema, doch Cornelia Keybeck hat gelernt, solche nur vorsichtig anzusprechen. „Blicken wir zu weit hinter die Kulissen, brechen die Familien den Kontakt ganz ab.“ Genau den wollen sie aber halten. Sie backen gemeinsam Plätzchen oder bieten Schminkkurse an, um so ins Gespräch zu kommen. „Manchmal mit erhobenen Zeigefinger, aber immer freundschaftlich“, sagt Cornelia Keybeck.
Stärken der Kinder fördern
Bei den Kindern geht das Angebot längst über die warme Mahlzeit und die Hausaufgaben hinaus. Es gibt Erlebnispädagogik für Stubenhocker, Sport- und Musikkurse, um die Stärken der Kinder zu fördern. Dank Spenden sind einige im vergangenen Jahr sogar in die Türkei geflogen. Jetzt lernen sie schwimmen, denn im Sommer geht es ans Meer. Für die Familien ist das unentgeltlich. „Viele Eltern möchten ihre Situation ändern, um ihren Kindern auch mal Wünsche zu erfüllen“, sagt Cornelia Keybeck über die Arbeitslosigkeit der Erwachsenen. Die Kinder aber, die klagen nicht einmal, wenn die Schuhe längst drücken, wenn die Hose kneift oder der Tornister kaputt ist. Dann halten ihnen die Mitarbeiter einen neuen hin, ohne viele Worte: „Passt doch besser, oder?“
Die eigene Armut empfinden die Kindern ohnehin nicht so, sie haben ja keinen Vergleich: „Das wäre bestimmt anders, wenn sie auf Kinder aus dem Süden treffen würden“. Und mit Mobiltelefonen und Computerspielen sind sie ja gut versorgt. „Was oft fehlt, ist emotionale Wärme.“ Das spürt die Leiterin, wenn die Kinder ihre Nähe suchen und kuscheln kommen, erzählt sie gerührt. So wie Kai, der gerade eine zwei in Mathe geschrieben hat und sich dafür ein Comic-Heft aussuchen durfte: „Später werde ich Astronaut“, sagt er. Der Erfolg in der Schule ist auch einer für die Erzieher: „Wir haben sogar ein Kind, das es aufs Gymnasium geschafft hat, erzählt Cornelia Keybeck stolz: „Wir kämpfen um jedes Kind.“
Betreuung bis zum Beruf
Das erste Förderturmhaus entstand 2008 in Altenessen auf dem Gelände der Zeche Carl in Zusammenarbeit mit Stadt und städtischem Jugendamt. Heute werden dort rund 50 Grundschüler von fünf fest angestellten Erzieherinnen betreut. Grundsätzlich gilt die Betreuung bis zum vierten Schuljahr, doch wer als Grundschüler aufgenommen wird, darf weiterhin kommen und wächst in den Teenagerbereich hinein, sagt Cornelia Keybeck, die auch das Altenessener Haus leitet. Den Jugendlichen helfen sie dann etwa, ein Praktikum zu finden und begleiten sie bis in den Berufseinstieg.
Das Förderturmhaus im Ostvierten eröffnete 2013. Bis zum Jahr 2015 sollen dort 100 Kinder betreut werden. Die Mädchen und Jungen werden in Absprache mit dem Haus, dem Jugendamt und den Schulen angemeldet. Die Eltern werden miteingebunden, so gibt es zum Beispiel verbindlich einmal im Jahr einen Eltern-Kind-Kurs. Im Haus hat das Jugendamt ein Büro, der Sozialdienst katholischer Frauen leitet die Familienschule, in der es etwa um Alltagsstrukturen geht.
Hinter beiden Häusern steht der Verein Förderturm, der sich zum Ziel gesetzt hat, Kinder mit sozial schwachem Hintergrund zu unterstützen. Es gibt inzwischen 260 Mitglieder, darunter zahlreiche Essener Geschäftsleute. Eine Mitgliedschaft kostet 25 Euro im Monat. Info: www.foerderturm.de
* Name geändert