Essen. Ein renommierter Gutachter kritisiert das Ifo-Gutachten zu den Beschäftigungseffekten der Messe Essen scharf. Er fordert die Messe und die Stadt auf, dringend eine Kosten-Nutzen-Analyse aufzustellen, erst dann könne man die beste Vorgehensweise erkennen. Grüne und Linke sehen sich in ihrer Kritik bestätigt.
Es ist fast wie ein Mantra der „Pro Messe“-Bewegung, allen voran Oberbürgermeister Reinhard Paß: Die beiden Studien des Münchner Ifo-Instituts, die belegen sollen, dass die Messe knapp 7500 Arbeitsplätze sichert, davon gut 3500 in Essen. Ohne die 123 Millionen Euro teure Ertüchtigung, über die Essens Bürger am 19. Januar entscheiden, seien die Jobs akut bedroht. Selbst Verdi brachte das vor gut einer Woche auf die Straße, der Demonstrationszug endete vor der Geschäftsstelle der Grünen am Kopstadtplatz, wo es zu bösen Kommentaren kam: „Wir wurden regelrecht beschimpft“, sagt Fraktionschefin Hiltrud Schmutzler-Jäger. Die Zweifel der Grünen an den Ifo-Papieren und an deren Zahlen wurden weggewischt.
Doch nun halten die Grünen und damit die Befürworter eines finanziell maßvollen und schrittweisen Umbaus der Messehallen ein starkes Gegenargument in den Händen: In einer Evaluation beider Studien kommt der renommierte Chemnitzer Wirtschaftswissenschaftler und Finanzexperte Professor Dr. Friedrich Thießen zu einem vernichtenden Urteil über die Ifo-Papiere: „Die im Ifo-Gutachten genannten 3552 Erwerbstätigen in Essen sind weder nachvollziehbar noch plausibel. Die Wirkungen der Essener Messe sind in den Gutachten unvollständig analysiert. Die relevanten Zahlungsströme, welche Einfluss auf die Nützlichkeit der Messe für die Essener Bürger haben, wurden unvollständig einbezogen.“
Die verwendete Methoden reichen nicht aus
Gewinne und Verluste der Messe und Investitionen fehlten völlig. „Verluste wirken sich beschäftigungsmindernd aus und senken langfristig das Essener Wachstum“, so Thießen. „Die verwendete Methode ist ungeeignet, um zu erkennen, wie exakt groß Beschäftigungseffekte sind, ob sich eine Zusatzbeschäftigung ergibt oder nur eine Verlagerung von Beschäftigung.“ Das Urteil des Gutachters bestätigt alle Zweifel: „Dieses Problem wurde in einer Fußnote durch eine bloße Annahme gelöst. Alternativen wurden nicht betrachtet.“
Der Professor der TU Chemnitz analysiert weiter: „Katalytische Effekte fehlen. Diese wären aber notwendig, um zu erkennen, ob eine ,Umwegrentabilität’ erreicht wird. Mit der verwendeten Input-Output-Rechnung lässt sich dies nicht erkennen. Insgesamt gesehen zeigt sich, dass die verwendete Analysemethode nicht geeignet ist, um die Vorteile und die Nachteile der Messe für die Essener Bürger aufzuzeigen.“ Durch eine Investition von 123 Millionen Euro an anderer Stelle könne man auch die gleiche oder eine noch höhere Zahl an Arbeitsplätzen schaffen oder erhalten.
Nicht hilfreich für eine Entscheidung
Und so schreibt Friedrich Thießen Stadt und Messe ins Stammbuch, dringend eine Kosten-Nutzen-Analyse vorzunehmen: „Diese muss nicht in Form eines aufwändigen Gutachtens entstehen. Häufig reicht das gründliche und systematische Zusammenstellen aller Vor- und Nachteile aus. Wichtig ist es, alternative Handlungsweisen einzubeziehen. Erst zusammen mit den verfügbaren Handlungsalternativen kann man die beste Vorgehensweise erkennen.“ Erst wenn die Handlungsalternativen vorhanden seien, ließen sich Aussagen über Arbeitsplätze machen. Thießen abschließend: „In den Gutachten des Ifo-Instituts fehlt jeder Hinweis auf Alternativen. Deshalb sind die Gutachten nicht hilfreich, um zu Entscheidungen zu gelangen.“
Für die Grünen-Fraktionsvorsitzende Hiltrud Schmutzler-Jäger ist Thießens Urteil Wasser auf die Mühlen: „Das Gutachten weist nach, dass die Ifo-Studie die nachteiligen Beschäftigungswirkungen durch die hohen Verluste der Messe Essen ausblendet und somit auch nicht geeignet ist, Vor- und Nachteile der Messe für die Essener Bürger aufzuzeigen. Damit fällt die von der Pro Messe-Initiative permanent angeführte Zahl von angeblich messe-bedingten 3.500 Arbeitsplätzen in Essen wie ein Kartenhaus zusammen.“
Höhere Zahl an Arbeitsplätzen
Professor Thießen weise zurecht darauf hin, dass man durch eine Investition von 123 Millionen Euro an anderer Stelle die gleiche oder eine noch höhere Zahl an Arbeitsplätzen schaffen oder erhalten könnte. „Die von uns geforderten verstärkten Investitionen in die energetische Sanierung von Schulen und Kitas würden damit ebenfalls zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen bei ortsansässigen Handwerksunternehmen führen und so den Mittelstand in der Stadt stärken, was bei der Abwicklung von einzelnen Großprojekten oft nicht der Fall ist.“
Mit dem Gutachten werde deutlich, so Hiltrud Schmutzler-Jäger, „dass die von uns immer eingeforderte umfangreiche Kosten- und Nutzenanalyse, die erst eine ordentliche Risikoabwägung dieser Großinvestition zulässt, nur bedingt erfolgt ist“. Im Übrigen gelte dies auch für die steuerlichen Erträge, wie sie von der Stadt beschrieben werden: „Wir erhalten in dieser Frage in das entscheidende PWC-Gutachten keinen Einblick, Oberbürgermeister Paß stellt uns nur Auszüge zur Verfügung. Auch hier ist eine Aufklärung dringend geboten.“ Letztendlich bleibe es dabei, dass sich das Pro-Messe-Bündnis einer ehrlichen Diskussion über die wirkliche Sach- und Datenlage entziehe und nur Stimmungsmache betreibe.
Die Linke bezeichnet Evaluation aus hilfreich
Als „ausgesprochen hilfreich“ bezeichnete gestern bereits die Linke-Ratsfraktion die Evaluation. „Kritiker hatten von Beginn an Zweifel an dem dürren Ifo-Gutachten geäußert. Nun kommt Professor Thießen von der Universität Chemnitz de facto zu einem vernichtenden Urteil zur Aussagekraft dieses Messe-Bestellgutachtens von 2009“, stellt der Linken-Fraktionsvorsitzende Hans Peter Leymann-Kurtz fest. „Die angeblich über dreitausend Essener Arbeitsplätze, die von der Messe Essen abhängen sollen, sind eine bloße Chimäre“, so Leymann-Kurtz.
Die Linke gehe davon aus, dass die von der Messelobby ins Feld geführte Behauptung angeblicher massiver Beschäftigungseffekte durch die Messe Essen nicht länger haltbar ist: „Wir sind auf die Reaktionen der Messelobby angesichts dieses klaren Urteils gespannt, insbesondere auf die Reaktionen aus den Reihen der Gewerkschaften“, so Leymann-Kurtz. „Bereits die angeblichen Beschäftigungseffekte für die Stadtverwaltung und die städtischen Gesellschaften, die seinerzeit Verdi-Chef Grüll in den Raum gestellt hatte, konnten nicht belegt werden.“