Essen. Der designierte Messe-Chef Oliver P. Kuhrt zur Debatte um die neue Messe, über Chancen einer Modernisierung und die Konsequenzen, die ein erfolgreicher Bürgerentscheid nach sich ziehen würde.

Der designierte Messe-Chef Oliver P. Kuhrt zur Debatte um die neue Messe, über Chancen einer Modernisierung und die Konsequenzen, die ein erfolgreicher Bürgerentscheid nach sich ziehen würde.

Herr Kuhrt, Sie haben sich Ihren Einstand in Essen vermutlich etwas weniger turbulent vorgestellt als gleich mit einem schicksalhaften Bürgerentscheid konfrontiert zu werden.

Oliver P. Kuhrt: Nun, es war schon bei den letzten Bewerbungsrunden im Aufsichtsrat absehbar, dass es zu einem solchen Verfahren kommen könnte. Ich habe mich dann ganz bewusst für einen Start am 1. Januar entschieden als Signal an die Belegschaft und die Stadt: Ich stehe zur Verfügung, ohne bereits das Ergebnis des Bürgerentscheids zu kennen. Und ich werde intensiv mithelfen, möglichst viele Bürger für ein gutes Ergebnis zu gewinnen.

Sie sind bei Versammlungen bereits jetzt oft dabei: Gibt es eine Messe in Deutschland, die soviel Skepsis der eigenen Bürger auf sich zieht wie die Essener?

Kuhrt: Nicht in dieser Dimension und mit dieser Emotionalität. Auch bei der Kölner Messe, wo ich lange tätig war, gab es Ausbau-Debatten, auch da mussten wir überzeugen, aber Essen ist schon speziell.

Die Gruga wird nicht angetastet

Woher kommt das Ihrer Ansicht nach? Die Nähe zur Gruga?

Kuhrt: Das wird eine Rolle spielen. Aber wir tasten die Gruga nicht an, das räumt ja selbst die Gegenseite inzwischen fairerweise ein. Wir haben einen Konsens zwischen allen Beteiligten herbeigeführt, und dazu stehen wir. Der Grugapark ist zudem ja auch für die Messe ein großer Vorteil, welche Messe hat eine derart schöne Umgebung, selbst wenn sie uns räumlich begrenzt? Umgekehrt gewinnt aber auch die Gruga optisch ganz erheblich durch die neuen Hallen und den neuen Auftritt der Messe.

Viele Bürger denken bei Messe in erster Linie an Staus oder übervolle Parkplätze.

Manager und Marketing-Chef

Oliver P. Kuhrt, kennt das Messe-Geschäft durch seine langjährige Tätigkeit bei der Messe Köln. Dorthin kam der heute 50-Jährige im Jahr 2000. Von 2003 an übernahm Kuhrt leitende Funktionen - zuletzt als verantwortlicher Geschäftsführer für Marketing. 2011 wechselte Kuhrt, der von Hause aus Hotelmanager ist, als Chef zur Vila Vita Hotel- und Touristikgruppe.

Der Messe-Chef ist verheiratet und Vater zweier Töchter.

Kuhrt: Auch das ist ein Punkt. Nicht jeder Bürger hat den unmittelbaren Bezug, erfährt selbst, was die Messe für Essen leistet, sondern sieht nur die genannten Folgen. Da müssen wir immer wieder auf die Zusammenhänge hinweisen. Ich habe öfter das Gefühl, einige Beteiligte vergessen, dass die Diskussion weit über Essens Grenzen hinaus registriert wird - mit gravierenden Folgen.

Nämlich welchen?

Kuhrt: Die Wettbewerber prüfen natürlich immer wieder, wo Messen in Deutschland gerade einen schweren Stand haben. Die langwierige Diskussion tut der Messe Essen sehr weh, sie kommt über die Branchenkommunikation natürlich auch bei den Kunden an und führt dort zu Verunsicherungen. So drohen, Messen verloren zu gehen.

Man hört auch von anderen Gründen

Manche sagen, das sei Panikmache.

Kuhrt: Nun, wir kennen ja Beispiele aus jüngerer Zeit. Die Fibo und die Aluminium-Messe haben Essen vor allem deshalb verlassen, weil man nicht mehr geglaubt hat, dass die Messe mal neue Hallen bekommt.

Man hört, es hätte auch andere Gründe gegeben: etwa, dass es in Köln langfristig generell bessere Entwicklungsmöglichkeiten gebe.

Kuhrt: Glauben Sie mir, wenn Essen dem Veranstalter Reed Exhibitions ein belastbares zeitliches Signal in puncto Modernisierung hätte geben können, dann wäre es gelungen, diese Messen hier zu halten. Davon bin ich felsenfest überzeugt. In der Entstehungsphase dieses Wechsels war ich noch in Köln, ich habe das alles hautnah mitbekommen.

Was ist eigentlich konkret das Problem mit einigen der Essener Hallen?

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Kuhrt: Ein Beispiel: Wenn Sie als einer von 20 Ausstellern in der Aufbauzeit vor einem alten Aufzug stehen und müssen lange warten, bis ihr Stand und ihre Exponate an Ort und Stelle sind, führt das zu Ärger. Und irgendwann bekommt ein Verbandsgeschäftsführer Druck von seinen Mitgliedsfirmen: „Warum gehen wir immer noch nach Essen?“, lautet dann die Frage. Der Hinweis auf jahrzehntelange Treue hilft dann auch oft nicht mehr. Sie verlieren eine Messe manchmal rasch, der Aufbau einer neuen aber braucht Jahre.

Kuhrt: Neugeschäft leidet unter Hängepartie 

Gibt’s denn konkrete Abwanderungspläne?

Kuhrt: Wenn am 19. Januar die Botschaft kommen sollte, es gibt keine Verbesserung der Infrastruktur, dann wird es massive Abwerbungsversuche geben. Und: Es geht nicht nur ums Bewahren. Wir brauchen die Kraft und die Ressourcen fürs Neugeschäft. Die Messe Essen ist derzeit notgedrungen sehr defensiv, sie ähnelt einer Fußballmannschaft, bei der alle Spieler tief hinten drin stehen und gar nicht aus dem eigenen Strafraum kommen. Das ist ungesund. Das Neugeschäft können wir erst wirklich angehen, wenn wir eine Ausstattung haben, die am Markt auch als zeitgemäß empfunden wird. Als wir in Köln mit der Botschaft kamen: In drei Jahren haben wir die neuen Hallen, wurden wir mit unseren Wettbewerbern als gleichwertig wahrgenommen.

Essen ist nicht Köln. Was macht sie so sicher?

Kuhrt: Essen hat eine exzellente, verkehrsgünstige Lage mitten in Europa - das ist ein großes Pfund. Dann geht der Trend weg von den Universal-Messen hin zu Spezial-Messen, was für uns genau passt. Dann ist da der Grugapark, Rüttenscheid mit seiner Gastronomie. Wir haben Möglichkeiten, die hat Essen so noch gar nicht bedacht. Alles steht und fällt aber mit der neuen Hallenstruktur.

Messe hat das Potenzial zu mehr qualitativem Wachstum

Sie sollen im Aufsichtsrat Kritik geübt haben, die Messe Essen sei zu wenig innovativ.

MesseKuhrt: Nein. Die Messe Essen könnte jedoch mehr Selbstbewusstsein zeigen als von mir jedenfalls bislang wahr genommen wurde. Wenn sich Friedrichshafen am Bodensee zutraut, ein Messe-Format erfolgreich zu entwickeln, dann müsste Essen dazu erst recht in der Lage sein. Das soll aber keine Kritik sein an den bisher Verantwortlichen. Wenn wir die Bürger überzeugen können, unsere Pläne zu unterstützen, dann hat die Messe Potenzial zu wachsen.

Wie kann solches Wachstum aussehen?

Kuhrt: Es gibt eine ganze Reihe von Veranstaltungen, die in ein schönes neues Gelände hineinpassen würden. Auf die kann man selbstbewusst zugehen. Außerdem könnten wir aus Kongressen mit begleitenden Ausstellungen gute Messen entwickeln. Wie das geht hat die Messe Essen an der E-world eindrucksvoll gezeigt. Da geht noch mehr. Und nicht zuletzt haben wir am Standort schon eine Reihe von Zukunftsthemen, die parallel zu anderen Veranstaltungen stattfinden und die man zu eigenständigen Formaten entwickeln kann.

Baustellen würden eine Herausforderung sein

Was sagen Sie zur Kritik, es fehle an einem Businessplan?

Kuhrt: Die strategische Grundausrichtung, die Frage, wohin die Messe will, muss von der Geschäftsführung formuliert und kommuniziert werden.

Ist das nicht genügend passiert?

Kuhrt: Da fehlt mir noch der Einblick. Die Prognosen sind in jedem Fall sehr viel schlechter, wenn man nur die alten Hallen zur Verfügung hätte. Das ist keine Schwarzmalerei, sondern einfach Realität.

Gesetzt den Fall, die Bürger ziehen mit: Die Messe müsste dann immer noch einige Jahre schwierige Baustellenphase durchstehen. Gehen die Messe-Veranstalter da mit?

Kuhrt: Die Baustelle ist eine Herausforderung, keine Frage. Aber wenn wir sagen können: In drei Jahren ist der Leidensprozess zu Ende, dann wird das weit eher akzeptiert als die Botschaft: Es passiert gar nichts.

Das Gespräch führten
Frank Stenglein und Marcus Schymiczek