Essen. Kurz nach ihrer Silberhochzeit erfuhr Marina Schwab (53), dass sie HIV-positiv ist. Sie verlor ihren Mann, ihre drei Töchter wollen nichts mehr von ihr wissen. In den vergangenen Jahren hat sie sich ein neues Leben erkämpft, heute lebt sie in einer eigenen Wohnung in Essen – doch im Advent kehrt der Schmerz zurück.

Vor gut neun Jahren erfuhr Marina Schwab (Name geändert), dass sie HIV positiv ist. Sie ist nicht an der Krankheit gestorben, sie hat ihr Leben verloren. Ihr altes Leben mit Ehemann, drei Töchtern, mit Haus und weihnachtlicher Harmonie. „Weihnachten war so schön, heute ist es so schwer“, sagt die 53-Jährige.

Marina Schwab hat jung geheiratet, 18 Jahre alt war sie, 19 ihr Mann; sie hatte gerade ihre Frisör-Lehre beendet „und noch gar nicht richtig gelebt“. Einen Monat nach der Heirat kam die erste Tochter zur Welt, zwei weitere folgten. Gegen alle Wahrscheinlichkeit blieb das junge Ehepaar zusammen, baute sich im heimischen Datteln etwas auf; im Jahr 2004 feierten die Schwabs Silberhochzeit auf Lanzarote.

„Früher war Weihnachten so schön“

Im Urlaub war Marina Schwab abgemagert, fühlte sich schlecht und schob es erst auf ein altes Nierenleiden. Zu Hause kam sie ins Krankenhaus, wurde entlassen, musste erneut in die Klinik. „Der Urologe war ratlos, schlug einen HIV-Test vor, und ich sagte: ,Mach’ doch.“ Das Ergebnis war positiv. „HIV – das war ein Schock. Ich hatte gedacht, da gehör’ ich eh nicht zu. Das kriegen Junkies, Schwule, nicht ich.“

Noch größer war der Schock bei ihrem Mann. Er machte selbst einen Test, Ergebnis: negativ. Am Krankenbett seiner Frau versprach er: „Das kriegen wir schon hin.“ Da wog Marina Schwab noch 41 Kilo, war zu schwach, um nur die Zahnbürste zu halten, und ihr Immunsystem war praktisch außer Dienst.

Als sie sechs Wochen später nach Hause kam, im Rollstuhl, 100 Prozent schwerbehindert, löste er sein Versprechen ein. Pflegte sie, wusch sie, legte den Katheder. Schweigend. „Ich war der Pflegefall, er kümmerte sich. Aber keiner fragte, warum.“ Dabei wusste ihr Mann, dass sie einmal fremd gegangen war.

Vorwürfe kamen mit Verzögerung

Die Vorwürfe kamen mit Verzögerung, just als es ihr nach einem Jahr etwas besser ging. „Ich kam langsam auf die Beine, wollte Auto fahren, wollte raus. Meine Familie wollte mir das verbieten.“ Nun bohrte ihr Mann, wer der andere war, machte ihr Schuldgefühle. Nun fragten die Töchter: „Ist der Papa überhaupt unser Papa.“ Dann durfte sie ihre Enkelin nicht mehr sehen.

Im Herbst 2006 verließ Marina Schwab ihre Familie, in der sie nun geächtet war. Sie zog in eine Wohnung, verschwieg die Krankheit und dachte doch, „dass jeder auf meiner Stirn lesen kann: HIV-positiv“. Am 22. Dezember 2006 machte sie sich schick, schminkte sich und schnitt sich die Pulsadern auf: Sie hatte den Gedanken an Heiligabend nicht ertragen. Sie wurde nur gerettet, weil eine Bekannte die Feuerwehr alarmiert. „Die hatte eine Eingebung!“

Tatsächlich dauert ihre Rettung bis heute an: Sie war in der Psychiatrie, hat Therapien gemacht, manche abgebrochen. Im April 2007 zog sie als eine der ersten ins betreute Wohnen der Aids-Hilfe Essen. „Am Anfang bin ich oft heulend ins Büro gelaufen.“ Es ging ihr immer noch nicht gut, aber nun war jemand da; „ich fühlte mich geborgen“. So verarbeitete sie, dass ihr Mann mit großer Energie die Scheidung betrieb, obwohl er bald nach dem Scheidungstermin an Krebs sterben sollte. Erfahren hat sie das durch Zufall. Ihre Töchter (27, 32, 34) sprechen bis heute nicht mit ihr. „Ich hab’ akzeptiert, dass sie das nicht wollen. Aber ich habe auch gelernt: Ich bin nicht Schuld daran. Ich habe einen Fehler gemacht, aber nicht nur ich.“

Mit viel Sport gegen die Folgen der Medikamente

Sie lebt mit Aids, kämpft mit viel Sport gegen die Folgen der Medikamente. Sie hat einen neuen Freund und lebt seit 2011 in einer Wohnung in Steele-Horst, Sonnenseite. Und weil es auch dunklen Tage gibt, wird sie bis heute von der Aids-Hilfe betreut. Der Advent ist besonders hart. Jetzt denkt sie wieder an das letzte Weihnachtsfest mit der Familie, mit der vierjährigen Enkelin, der sie eine Puppe schenkte. „Ey, Oma, ich glaub, ich krieg ‘ne Krise: eine Baby Born!“ Sie lacht über den Satz – und hat Tränen in den Augen. Was sie sich zu Weihnachten wünscht: „Ein Parfüm, eine Tasche und dass alles gut über die Bühne geht.“