Essen. Die unbekannten unterirdischen Hohlräume, die Züge am Hauptbahnhof ausbremsen, wurden beim Abriss des AEG-Hauses entdeckt. Erkundungsbohrungen sollen klären, wie groß sie sind – und wie groß die Gefahr für den Zugverkehr seit Jahren war. Gebohrt wird aber erst ab Freitagmorgen.

Am Mittwoch, so gegen 17 Uhr, informierte Nicole Reinersmann die Deutsche Bahn, dass es unter der Bahnstrecke am Essener Hauptbahnhof "eine Gefahr durch Altbergbau gibt, die erforscht werden muss". Reinersmann arbeitet als Diplom-Geotechnikerin für die Abteilung Bergbau der Bezirksregierung Arnsberg. Nach Essen eilte sie von ihrem Dortmunder Büro aus am Mittwoch wegen des Verdachts, dass unter der Hauptverkehrsstrecke der Bahn, unmittelbar westlich des Hauptbahnhofs, unbekannte Hohlräume liegen könnten. Gemeinsam mit den Verantwortlichen der Bahn entschied die Abteilung Bergbau am Mittwochnachmittag, alle Züge vorsichtshalber Schrittgeschwindigkeit in der Gefahrenzone fahren zu lassen, bis die Hohlräume – und das Risiko durch diese – erforscht sind und die Stollen mit Flüssigbeton verfüllt sind. Das kann dauern. Sogar bis Freitagabend. Die Folgen für Pendler und Bahnreisende sind bekannt.

Unbekannter Stollen neben verzeichnetem am Mittwoch entdeckt

Dass die Bahn ihren Kunden das Tempolimit auf der Strecke, die Verspätungen und die Umleitung des Fernverkehrs erst am frühen Donnerstagmorgen via Pressemitteilung und Smartphone-Dienst meldete, erklärte Bahnsprecher Dirk Pohlmann am Donnerstagmittag damit, "dass uns die Nachricht ja gestern auch erst nach Büroschluss erreicht hat. Die Kollegen mussten sich erstmal ein Konzept überlegen." Bereits am Mittwochabend waren tausende Pendler zwischen Duisburg und Dortmund von den Verspätungen aller Bahnen betroffen. Pohlmann: "Ich hoffe, unsere Fahrgäste können Verständnis für die Behinderungen aufbringen". Schließlich sei auch die DB von der Nachricht der Bergbauschäden überrascht worden. Dafür laufe es "ganz gut", so Pohlmanns Zwischenfazit am Donnerstagmittag: "Essen ist ja nicht abgeschnitten, wir pendeln uns bei Verspätungen zwischen zehn und 15 Minuten ein."

Währenddessen beaufsichtigten Nicole Reinersmann und ihr Dezernent, Diplom-Bergbauingenieur Peter Hogrebe, für die Bezirksregierung die Bohrungen an der Bert-Brecht-Straße. Dort lässt der Projektentwickler Kölbl Kruse das alte AEG-Haus abreißen, um an selber Stelle die neue Konzernzentrale der Bahnlogistik-Tochter DB Schenker zu errichten. Dass unter dem Bürogebäude aus den Fünfzigern ein Bergwerksstollen verläuft, wussten Bauherr, Aufsichtsbehörde und auch die RWE Systems AG. Dem Ableger des Essener Energiekonzerns gehört das Grubenfeld westlich des Hauptbahnhofs, in dem Bergbau seit 1870 dokumentiert ist. Es gehörte zur Zeche Victoria Mathias, dem Steinkohlebergwerk im Norden der Stadtmitte.

Am Mittwoch aber stieß die Grundbau Essen GmbH, die für Kölbl Kruse den Baugrund am AEG-Haus untersucht, an der Bert-Brecht-Straße in 16 Metern Tiefe auf unbekannte Hohlräume. Weitere Bohrungen bestätigten die Befürchtung: Unter der Gleisanlage der Bahn liegen Verbruchzonen, die auf alte Abbaue im Flöz Sonnenschein hindeuten. Reinersmann vermutet, dass dort, im Grubenfeld "Hoffnung & Secretarius et Aak" bereits 1840 Steinkohle abgebaut wurde. Das Problem: Kartografiert wurden die Abbaugebiete erst ab etwa 1870.

Zweiter Erkundungsbohrer erreichte Baustelle erst am Abend

Der etwa einen Meter breite und zwei Meter hohe Stollen, so Reinersmann, könnte die Bahntrasse zwischen Bert-Brecht-Straße und Henriettenstraße queren, wäre damit etwa 200 Meter lang. "Aber das sind Vermutungen", sagt sie, "bis die Ergebnisse der weiteren Bohrungen vorliegen." Das kann dauern, obwohl sechs Grundbau-Mitarbieter die Nacht durchbohren werden. Zumal sie darauf achten müssen, nicht auch noch Strom- und Versorgungsleitungen zu beschädigen. Und der Klemm-Bohrer, der nördlich der Bahntrasse, auf dem Gelände des Eisenbahnbundesamtes postiert werden soll, erreichte die Baustelle erst am Donnerstagabend. Schräg ins Erdreich, bis zu 30 Meter tief, werden die beiden Bohrer aber erst am späten Freitagabend mit Hochdruck vordringen.

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Zeitgleich wird an der Brecht-Straße, direkt am AEG-Haus, der bekannte Stollen verfüllt: Silowagen brachten ab 18 Uhr alle drei Stunden 30 Kubikmeter Flüssigbeton, der in den etwa 40 Meter langen Stollen unter dem Bürohaus gepumpt wird. Damit das Füllmaterial in dem abschüssigen Stollen nicht nach Rüttenscheid abfließt, musste obendrein noch eine Sperre in den Stollen eingebaut werden. Einsturzgefährdet, so Reinersmann, war das AEG-Haus aber nicht.

Ob das auch für das neu entdeckte Flöz und die Anlagen der Bahn darüber gilt, über die seit Jahrzehnten täglich hunderte Züge rollen, werden die Bohrungen zeigen. Mit Ergebnissen rechnet Reinersmann erst am frühen Donnerstagabend. Dass man die neu entdeckten Hohlräume nicht mit Beton stabilsieren kann, glaubt die 37-Jährige aus Stoppenberg aber nicht: "Man kann alle Hohlräume verfüllen."

Das AEG-Haus in Essen

Drei Mitarbeiter, eine Schreibmaschine: Aufnahme eines der Büros im AEG-Haus aus den 1950er Jahren.
Drei Mitarbeiter, eine Schreibmaschine: Aufnahme eines der Büros im AEG-Haus aus den 1950er Jahren. © Deutsches Technikmuseum Berlin
Alles, was im Hause AEG hergestellt wurde, war im Ausstellungsraum zu sehen. Dieser lag zur Straßenseite hin.
Alles, was im Hause AEG hergestellt wurde, war im Ausstellungsraum zu sehen. Dieser lag zur Straßenseite hin. © Deutsches Technikmuseum Berlin
Schick, geräumig und mit Aschenbecher auf dem Tisch: ein Abteilungsleiterraum im  AEG-Haus in den 1950er Jahren.
Schick, geräumig und mit Aschenbecher auf dem Tisch: ein Abteilungsleiterraum im AEG-Haus in den 1950er Jahren. © Deutsches Technikmuseum Berlin
So sah das AEG-Haus nach seiner Errichtung von außen aus.
So sah das AEG-Haus nach seiner Errichtung von außen aus. © Deutsches Technikmuseum Berlin
In Reih und Glied standen die Stühle im Kochvortragsraum.
In Reih und Glied standen die Stühle im Kochvortragsraum. © Deutsches Technikmuseum Berlin
Der Kühlschrank in der Küche zum Speisesaal war natürlich von AEG.
Der Kühlschrank in der Küche zum Speisesaal war natürlich von AEG. © Deutsches Technikmuseum Berlin
Eher spartanisch eingerichtet war der Speisesaal im AEG-Haus.
Eher spartanisch eingerichtet war der Speisesaal im AEG-Haus. © Deutsches Technikmuseum Berlin
Das AEG-Haus wurde in den Jahren 1952 und 1953 gebaut - zum damaligen Zeitpunkt mit modernster Technik. Das Bild zeigt eine Niederspannungsanlage.
Das AEG-Haus wurde in den Jahren 1952 und 1953 gebaut - zum damaligen Zeitpunkt mit modernster Technik. Das Bild zeigt eine Niederspannungsanlage. © Deutsches Technikmuseum Berlin
Ein Vortragsraum im AEG-Haus.
Ein Vortragsraum im AEG-Haus. © Deutsches Technikmuseum Berlin
Modern eingerichtet, für die damalige Zeit: ein Sitzungszimmer.
Modern eingerichtet, für die damalige Zeit: ein Sitzungszimmer. © Deutsches Technikmuseum Berlin
Über einen langen Flur ging es zu den Büros.
Über einen langen Flur ging es zu den Büros. © Deutsches Technikmuseum Berlin
Auch schick: der Vorraum zur Geschäftsleitung.
Auch schick: der Vorraum zur Geschäftsleitung. © Deutsches Technikmuseum Berlin
Das Fenster im Treppenhaus des AEG-Hauses.
Das Fenster im Treppenhaus des AEG-Hauses. © Deutsches Technikmuseum Berlin
Über die geschwungene Treppe ging es vom Erdgeschoss ins erste Stockwerk.
Über die geschwungene Treppe ging es vom Erdgeschoss ins erste Stockwerk. © Deutsches Technikmuseum Berlin
Die Pförtnerloge des neuen Bürohauses.
Die Pförtnerloge des neuen Bürohauses. © Deutsches Technikmuseum Berlin
Welche Baufirmen waren am  Bau des AEG-Haus beteiligt? Das konnte man auf dem Bauschild ablesen.
Welche Baufirmen waren am Bau des AEG-Haus beteiligt? Das konnte man auf dem Bauschild ablesen. © Deutsches Technikmuseum Berlin
Das fünfte Obergeschoss des AEG-Hauses wird gebaut.
Das fünfte Obergeschoss des AEG-Hauses wird gebaut. © Deutsches Technikmuseum Berlin
Mit Moniereisengeflecht und eingelegten Stahlpanzerrohren wurde das AEG-Haus gebaut.
Mit Moniereisengeflecht und eingelegten Stahlpanzerrohren wurde das AEG-Haus gebaut. © Deutsches Technikmuseum Berlin
Arbeiter beim Bau des AEG-Hauses an der Kruppstraße 6.
Arbeiter beim Bau des AEG-Hauses an der Kruppstraße 6. © Deutsches Technikmuseum Berlin
Hell erleuchtet: das AEG-Haus bei Nacht.
Hell erleuchtet: das AEG-Haus bei Nacht. © Deutsches Technikmuseum Berlin
Fotos vom Schaufenster des AEG-Hauses, das von der Straße aus zusehen war.
Fotos vom Schaufenster des AEG-Hauses, das von der Straße aus zusehen war. © Deutsches Technikmuseum Berlin
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