Essen. . Ein neues Gutachten warnt vor Sondermüll, das in ehemaligen Bergwerken im Ruhrgebiet liegt und irgendwann austreten könnte. Der BUND spricht von einer “gigantischen Zeitbombe“. Die Ruhrkohle AG sieht dagegen keine Gefahren.
Ein bislang unbekanntes Gutachten zu möglichen Giftbelastungen in alten Bergwerken und Streben ruft den Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) auf den Plan. Es ticke eine „gigantischen Zeitbombe“ unter Tage, meint der BUND. Und Landesumweltminister Johannes Remmel (Grüne) sagt: „Wenn das Gutachten zutrifft, haben wir Anlass zu besonderer Aufmerksamkeit.“
Was ist geschehen? Das Magazin „Der Spiegel“ berichtet über ein Gutachten, das der frühere Abteilungsleiter im NRW-Umweltministerium, Harald Friedrich, geschrieben hat. Friedrich gilt als Experte für Abfall und belastetes Wasser. Beauftragt hat die Expertise der Landwirt Hermann Schulze-Bergcamen, der seit Jahren mit dem Bergbaukonzern RAG in Auseinandersetzungen liegt und bei seinen Recherchen auf eine Sondermüll-Entsorgung spezieller Art in den neunziger Jahren gestoßen ist.
Damals wurde unter dem Umweltminister Klaus Matthiesen (SPD) die Entsorgung von Aschen und Stäuben aus der Hausmüll- und Klärschlammverbrennung sowie von Kraftwerksrückständen erfunden. Zum Nutzen der damals SPD-geführten Landesregierung, die sich Bürgerprotesten gegen den Neubau von Sondermülldeponien gegenübersah. Wie auch zum Nutzen des Steinkohlenbergbaus, der für die Entsorgung bis zu 500 Mark pro Tonne erhielt, der sich aber vor allem erhoffte, unter Tage mit dem Material Ausgasungen zu verhindern und durch die Verfüllung der Stollen Tagesbrüche zu vermeiden.
Sondermüll wurde so zu Wertstoffen. Eine Machbarkeitsstudie von drei Professoren bescheinigte die Unbedenklichkeit, die Stoffe würden vollständig eingeschlossen, behördliche Genehmigungen und Prüfungen lagen vor.
In ersten Versuchen verpresste die RAG auf den Bergwerken Zollverein in Essen, auf Consolidation und Ewald-Hugo in Gelsenkirchen sowie in Walsum Kraftwerksasche. Das Gemisch aus Wasser, Industrieaschen oder Klärschlämmen, das austrittssicher eingeschlossen werden musste, kam im Bergwerk Haus Aden in Bergkamen sowie in Walsum zum Einsatz: 650 000 Tonnen verfüllte die RAG bis Ende der neunziger Jahre in die Streben. Man habe besonderen Wert darauf gelegt, dass von den Stoffen keine Risiken für die Umwelt ausgehen, so die RAG. „Das gilt genauso noch heute wie in Zukunft.“
Nun hat Gutachter Friedrich in Boden- und Wasserproben laut „Spiegel“ Schwermetalle, Fluoride und Dioxin in geringen Konzentrationen gefunden. Der Landwirt Schulze-Bergcamen hatte die Proben beauftragt, weil er geschädigte Flächen auf seinem Grund dort fand, wo es zu Wasseraustritten an der Oberfläche kam. Aber: Ob das Wasser aus dem Bergwerk zu diesen Befunden geführt haben könnte, ist nicht bewiesen, sagte Friedrich dem Magazin. Schließlich ist das Ruhrgebiet Industriegebiet, die Stoffe können überall herstammen. Der Verdacht aber reiche aus, um eine Gefahrenanalyse zu beauftragen.
RAG widerspricht: Kein Giftaustritt
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Die Obere Bergbaubehörde wie auch die RAG schließen klar aus, dass irgendwelche Giftstoffe austreten könnten. Zum einen seien die Strecken mit Dämmen abgedichtet, zum anderen fließe Wasser nach unten. Es sei unmöglich, dass die Giftstoffe in den Streben mit Grubenwasser in Verbindung kommen, so die RAG. Um hier Sicherheit zu haben, sei schließlich auch das Abpumpen des Grubenwassers in alle Ewigkeit gedacht (Grafik). Es sei schlicht nicht möglich, dass Grubenwasser an der Oberfläche austrete. Dies gelte im übrigen auch für die Zeit nach Beendigung des Bergbaus. Wenn dann das Grubenwasser ansteige, drohe Gefahr, meint dagegen der BUND.
Neben unangemeldeten Proben des Grubenwassers durch die Bezirksregierung zieht die RAG nach eigenen Angaben regelmäßig Proben, die sie auf Chloride, Zink, Blei, Sulfate und Cadmium testet – mit „absolut unbedenklichen Werten“, so die RAG. Man nehme die Befürchtungen ernst und sei bereit, den Probenumfang auf alle Verdachtsstoffe zu erweitern.
Umweltminister Remmel will prüfen, ob verstärkte Messungen des Landesumweltamtes vorzunehmen seien. Zudem sei es sinnvoll, die Sondermüll-Einlagerungen systematisch zu überprüfen.