Essen. . Seit drei Wochen ist die frühere Walter Pleitgen-Schule in Essen ihr neues zu Hause: 89 Flüchtlinge, überwiegend Familien, leben in der Behelfsunterkunft. Viele Frintroper bringen Spenden vorbei und bieten ihre Hilfe an - dabei war die Stimmung im Stadtteil vor dem Einzug der Flüchtlinge nicht durchweg positiv.

Die Sorge war groß: Asylbewerber würden die Immobilienpreise in den Keller treiben, Kriminalität ins beschauliche Frintroper Idyll bringen, für Lärm und Ärger sorgen. Wer vor gerade einmal anderthalb Monaten manchen Anwohner am Rande von Demonstrati­onen oder am Gartenzaun reden hörte, fühlte sich an einem unwirklichen Ort. Und war mitunter beschämt vor lauter Ignoranz und Fremdenfeindlichkeit, die mancher den Hilfesuchenden entge­gen brachte: Als „Klagemauer“ verschrien war die Mauer rund um die künftige Notunterkunft in der Walter Pleitgen-Schule, fremdenfeindliche Banner und Flugblätter säumten die Straßen. Und heute? Wie sieht es in Frintrop aus, drei Wochen nach dem Einzug der ersten Flüchtlinge?

„Die Angst ist verschwunden, die Hilfsbereitschaft immens. Essen darf stolz auf die Frintroper sein“, betont Ridda Martini, Leiter der Behelfseinrichtungen in Frintrop und Dilldorf. Er arbeitet für die Firma „European Homecare“, die beide Häuser im städtischen Auftrag betreibt. Und er hat gut zu tun.

„An die 60 E-Mails und Telefonate gehen täglich ein. Die Leute fragen, wie sie den Flüchtlingen helfen können, was sie an Kleidung, Spielen oder Alltagsge­genständen benötigen.“ Nur ungern führt Martini in den frisch eingerichteten Fernseh- und Aufenthaltsraum. „Wollen sie dieses Chaos wirklich fotografieren? Wir haben doch noch nicht sortiert“, fragt der Deutsch-Syrer, vor ei­nem Spendenberg stehend. „Das alles ist von heute“, betont Martini. Und lässt dann doch einige wenige Fotos zu.

Bewohner der früheren Walter Pleitgen-Schule sollen ein angenehmes Zuhause haben

European Homecare ist ein europaweit agierendes Famili­enunternehmen aus Essen und wurde 1989 für den Betrieb von Wohnheimen für Asylbewerber und Flüchtlinge gegründet. Im Laufe der Zeit erweiterte sich das Angebot, so dass die Firma seit vielen Jahren Asylbewerber, Flüchtlinge und soziale Randgruppen unterbringt und ihre soziale Betreuung samt Nebenleistungen übernimmt.

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89 Menschen ist die frühere Walter Pleitgen-Schule nun ein Zuhause auf Zeit. „Es ist nur eine Notunterkunft. Trotzdem wollen wir den Bewohnern das Leben im Haus so angenehm wie möglich gestalten“, erklärt Martini. Die Zusammenarbeit mit der Stadt sei hervorragend, „das freut mich, ist aber nicht immer so“, weiß er aus mehrjähriger Erfahrung in anderen Städten.

Martini kam selbst als Flüchtling nach Deutschland, wurde wenig später Ehrenamtlicher bei European Homecare, dann Sozialbetreuer und später Leiter mehrerer Häuser. „Ich will verhindern, dass anderen Flüchtlingen passiert, was mir damals passiert ist. Ich möchte vor allem als Kulturdolmetscher tätig sein, denn es gibt Unterschiede in den Kulturen, die wichtig sind.“

Bei Missverständnissen will der Kulturdolmetscher helfen

So erinnert sich Martini gut an ein Gespräch mit einer Psychologin, die ihm ihr Leid klagte: Sie wollte, dass ein traumatisiertes irakisches Kind seine Eltern als Tiere malt – in Fachkreisen eine übliche Methode um zu erkennen, wie das Kind zu Mutter und Vater steht. „Aber es wehrte sich. Die Psychologin nahm an, dass der Kleine unglaubliche Angst vor seinen Eltern hat“, erinnert sich Martini.

Der Grund war jedoch ein anderer: „Im Islam darf man einen Menschen nicht als Tier darstellen, das ist gegen die Kultur der Menschen.“ Ähnliche Missverständnisse kämen immer wieder vor. Martini: „Hier ist es wichtig, richtig zu reagieren. Hier bin ich der Kulturdolmetscher.“ Mit Erfolg. „Wir haben mit Herrn Martini einen Spitzen-Einrichtungsleiter, der weitsichtig handelt und für alle das beste heraus holt“, betont Jürgen Gentzmer, der als Dilldorfer Koordinator oft mit Martini zu tun hat. Das, was er in Dilldorf gelernt habe, will Ridda Martini auch in Frintrop umsetzen.

Den Eltern, so Martini, ist es wichtig, dass ihre Kinder eine Zukunft haben. „Sie gehen hier zur Schule, lernen deutsch und lesen alles, was sie zwischen die Finger bekommen.“ Ihnen ein Zuhause zu bieten, ein Dach über den Kopf – dafür haben viele Flüchtlinge den Weg beschritten.

Die Hilfsbereitschaft in Essen-Frintrop ist immens

Zum Asylbewerberheim in der Walter Pleitgen-Schule hat sich ein runder Tisch unter der Leitung von Ralf Oyen gebildet. Er ist Vorsitzender des Pfarrgemeinderat von St. Josef Frintrop. Die Runde will Hilfsangebote und Sachspenden koordinieren und sich um Probleme sorgen, die sich im Zusammenleben mit den Anwohnern ergeben.

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„Doch davon kann ich momentan nicht berichten, im Gegenteil“, sagt Oyen. Die Hilfsbereitschaft im Stadtteil sei immens. „Alle Bedenkenträger, die sich im Vorfeld gemeldet, Vermüllung und Lärmbelästigung bis hin zu steigender Kriminalität erwartet haben, sind verstummt. Diejenigen, die unmittelbar in der Straße Im Neerfeld leben, sagen: ,Es ist ruhig'“, betont Oyen.

Denn die Bedenken, die vorher in den Köpfen schwirrten, seien nicht eingetroffen. Oyen: „Klar, Angst ist normal. Doch man muss irgendwann die Kirche im Dorf lassen, besonnen mit der Situation umgehen und die Leute in Frintrop ankommen lassen.“ Nun würde Normalität einkehren. Flugblätter und Plakate, die ge­gen Asylbewerber hetzten, seien verschwunden.

Die Flüchtlinge kommen überwiegend aus Kriegsgebieten

Jürgen Gentzmer leitet den Arbeitskreis Ortsteilgestaltung und Infrastruktur der Bürgerschaft Kupferdreh – und spricht für den „Runden Tisch“, der sich mit der Behelfseinrichtungen in Dilldorf auseinander setzt. Knapp drei Monate leben die Flüchtlinge nun in seiner Nachbarschaft; sie kommen überwiegend aus Kriegsgebieten, aus Mazedonien und dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien.

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„Nachdem die Bürger anfänglich sehr skeptisch und misstrauisch waren, helfen sie nun, wo sie können“, sagt Gentzmer. Es seien so viele Spenden eingetroffen, „dass wir jetzt schon nach Frintrop abgeben“. Das betrifft nicht nur Kleidung und Schuhe sondern ebenfalls Tischtennisplatten, Spiele und Fahrräder. „Die Entwicklung ist positiv, ich kann nichts Negatives berichten“, sagt Gentzmer. Zehn Bürger hätten sich gefunden, die sowohl Kindern als auch Erwachsenen Sprachunterricht geben. Andere lesen vor oder helfen den Kindern bei Hausaufgaben. „Dadurch sind die Leute beschäftigt und fühlen sich in den Stadtteil eingebunden.“