Essen. Das Gymnasium Borbeck ist eines von landesweit nur 13 Gymnasien, das eine neunjährige Schulzeit anbietet. Schulleiterin Ursula Alsleben hofft jetzt, dass aus dem „G 9“-Modellversuch ein dauerhaftes Angebot werden kann. Sie sagt: „Hier dürfen Schüler auch Umwege machen“.
Es ist eine hübsche Bestätigung für Ursula Alsleben, wenn jetzt ein landesweites Bündnis die Rückkehr zur neunjährigen Gymnasialzeit (G 9) fordert. Die Leiterin des Gymnasiums Borbeck hat die ja gleich vollzogen, als das Schulministerium 2010 die Möglichkeit bot. „Damals mussten wir unser Herz über die Hürde werfen, und ich bekam keinen üppigen Beschluss der Schulkonferenz.“ Viele Schulen scheuten diese Rolle rückwärts; zu viel Kraft hatte die Umstellung aufs Turbo-Abi gekostet. Nur 13 von 620 Gymnasien im Land wagten den Schritt.
In Borbeck hat man die Entscheidung nicht bereut. „Heute tragen die Lehrer das mit. Die Schüler entspannter, die Eltern zufriedener.“ Eindrücke, die sie mit Zahlen unterfüttern kann: 120 Stunden mehr Unterricht in der zweiten Fremdsprache haben ihre Schüler bis zum Abi. In Klasse 5 gibt es in den Hauptfächern fünf statt vier Stunden. Und bei G 8 habe sie den Schülern viel früher zumuten müssen, zwei- bis dreimal die Woche bis 16 Uhr zu bleiben. „Da gab es auch ein Knurren der Eltern, wenn sie ihre Kinder so ausgelutscht erlebten.“
"Kein Abi für Arme"
So hält sie auch das Vorurteil für widerlegt, dass vor allem Schüler von G 9 profitieren, die den Anforderungen des Gymnasiums nicht wirklich gewachsen sind. „Zu uns kommen nicht übermäßig viele Kinder ohne Gymnasialempfehlung, sondern solche, die ein Leben nach der Schule haben. Wir bieten kein Abi für Arme – wir bieten Zeit für Bildung, Vertiefung, Anschauung.“
Bündnis will das Turbo-Abi abschaffen
Ein Bündnis von Eltern, Lehrern, Ärzten und Psychologen hat jetzt in Düsseldorf die Abkehr vom Turbo-Abi gefordert. Im achtjährigen Gymnasium sinke die Qualität der Bildung, der Stress nehme zu. Alle 620 Gymnasien in NRW sollten zu neun Schuljahren (G 9) zurückkehren.
Das NRW-Schulministerium lehnt das ab; es hatte den Gymnasien 2010 aber angeboten, im Rahmen eines befristeten Modellversuches zu G 9 zurückzukehren. 13 Schulen entschieden sich dafür, darunter das Gymnasium Borbeck. Nicht nur hier wünscht man sich, auf Dauer bei neun Jahren bleiben zu können.
Sie sei aber auch gelassener, wenn ein Grundschüler mit einer eingeschränkten Gymnasialempfehlung komme. „Nicht weil wir die besseren Pädagogen haben, sondern weil wir auch Zeit für Umwege haben, die manche Kinder brauchen.“
Klar gebe es Schüler, die G 8 locker packen; doch den Verweis auf die Abi-Noten, die ähnlich ausfallen wie bei G9, hält sie für nicht ganz fair: „Vielleicht sind einige Schüler am Abi gescheitert, die es in neun Jahren geschafft hätten.“ Gerade den Jungen tue es oft gut, wenn sie ein Jahr länger bis zum Abi haben.
Info-Terminen mit Eltern von Viertklässlern
Wenn sie dieser Tage bei Info-Terminen mit Eltern von Viertklässlern spricht, fragen die schnell nach der neunjährigen Schulzeit. Es gebe große Erwartungen: weniger Hausaufgaben, weniger Stress, mehr Freude. Um das einzulösen, macht die Schule Fortbildungen, zudem werden die 13 Gymnasien wissenschaftlich begleitet. Durch den ersten Bericht der Unis Duisburg-Essen und Bochum, der jüngst im Schulministerium vorgestellt wurde, habe sie sich bestätigt gefühlt.
Noch läuft G 9 als Modellversuch, der 2023/24 endet. Alsleben hofft, dass das Land den 13 Pionieren erlaubt, dauerhaft bei den neun Jahren zu bleiben. Die Rückendeckung der Essener Schulverwaltung hat sie: Wie sagt die Leiterin des Bereichs Schule, Regine Möllenbeck: „Es ist toll, eins der neunjährigen Gymnasium zu haben; eine so große Stadt könnte sogar ein zweites vertragen, wenn das möglich wäre.“ Alsleben ist vermutlich froh über das Alleinstellungsmerkmal.