Essen. Als kleiner Junge hat er jeden Samstag Tanzfilme geguckt, jetzt arbeitet er mit den großen Ballett-Ensembles zusammen. Seine tiefgründige Version von „Cinderella“ zeigt Choreograf Stijn Celis im Aalto-Theater. Da wählt eine junge Frau den Prinzen und nicht umgekehrt

Es war einmal ein Junge in Flandern, der sah an Samstagnachmittagen mit seiner Schwester Tanzfilme. „Meine Mutter hat uns damit überhäuft, weil sie Heimweh hatte“, erinnert sich Stijn Celis. An den britischen Ballettfilm „Die roten Schuhe“ denkt er zurück, an MGM-Streifen mit Ginger Rogers und Fred Astaire. Von einer Karriere als Tänzer und Choreograf war er damals weit entfernt und von einem Ballett namens „Cinderella“, das für ihn mehr als ein bewegtes Märchen wurde: ein Stück seiner eigenen Geschichte und ein Erfolg in Montreal, Dresden, Basel und Saarbrücken. Ab Samstag tanzt es das Aalto-Ballett.

Gefördert von Mats Ek

Rasant war Stijn Celis’ Aufstieg als Tänzer. Mit 14 nahm er erstmals Unterricht, mit 19 tanzte er bereits am Königlichen Ballett Flandern. „Damals war Ben Van Cauwenbergh Solotänzer“, berichtet Celis. Ihre Wege trennten sich. Aus den Augen verloren hat er den heutigen Essener Ballett-Intendanten nie. In Zürich, Genf und Stockholm rückte für ihn das zeitgenössische Ballett in den Fokus. Gefördert von Choreograf Mats Ek zeigte er seine erste Arbeit beim Holland-Festival. „Es war kein Erfolg für mich“, so Stijn Celis. Seine Konsequenz: Er absolvierte ein Studium als Bühnenbildner und fing von vorne an. Doch das Ballett ließ ihn nicht los.

Am Staatstheater in Wiesbaden widmete er sich der klassischen „Cinderella“ von 1945. Er war mit dem Resultat nicht glücklich und schwor sich, „nie mehr Kompromisse an die Popularität zu machen“. Dagegen konnten Werke wie „Les Noces“, „Romeo und Julia“ und die zweite „Cinderella“ seinen Ansprüchen genügen.

„Ich komme aus komplizierten Verhältnissen“

Bevor er Ballettdirektor in Bern wurde, kam 2003 seine moderne Version des Handlungsballetts in Kanada heraus. Diesmal unterzog er alles einem Wandel zwischen Traum und Realität: die Musik, die den sehnsuchtsvollen Les-Baxter-Sound und die Original-Komposition von Prokofjew umfasst, die von ihm symbolhaft eingerichtete Bühne, vor allem aber die Figuren. „Cinderella ist eine junge Frau, die erwachsen wird, die ihre Freiheit einfordert“, erklärt der 49-Jährige. „Sie ist keine Projektion von Sauberkeit, Naivität und Keuschheit.“ Als sie den wankelmütigen Prinzen trifft, hat sie schon sexuelle Erfahrungen gemacht, die Celis „ein Fundament der Persönlichkeit“ nennt. Doch bis sie ihn erwählt, gilt ihre Zuneigung dem „über sich selbst enttäuschten“ Vater, mit dem sie die Liebe zur verstorbenen Mutter teilt. Und ihr Aufbegehren gilt der eifersüchtigen Stiefmutter, die „versucht, ihre Ehe zu retten“.

Die Charakterisierung der Familie habe ihn sehr beschäftigt. „Ich komme aus komplizierten Verhältnissen. Ich hatte einen Vater, der sich selbst umgebracht hat. Deshalb ist alles so psychologisch ausgefallen“, erzählt er. Wie die Besetzung der Stiefmutter und der Stiefschwestern mit Männern, die keineswegs als Travestie oder komische Note gedacht ist, sondern neben tänzerischen Motiven ihre Ursache in der Vergangenheit hat: „Meine Mutter musste beides für uns sein – Vater und Mutter.“

Die Tiefgründigkeit, die Modernität und die Romantik bleibt im Ballett und im Leben von Stijn Celis erhalten. Auch am Saarländischen Staatstheater, wo er 2014 Ballettdirektor wird: „Ich ziehe mit viel Freude nach Saarbrücken“, sagt der Choreograf mit Wohnsitz in Montreux, „und in der Hoffnung, etwas Neues über mich zu erfahren.“