Essen. . Die Hooligans der „Alten Garde Essen“ sollen es gewesen, die Mitarbeiter und Gäste des Fanprojektes vor der Vorführung des Films „Undercover unter Nazis“ bedroht haben. In der Fanszene ist das ein offenes Geheimnis. Trotzdem wurden die vielen bekannten Täter nicht angezeigt.

Gegen Rassismus und Diskriminierung in Fußball-Stadien engagieren sich DFB und Bundesliga seit Jahren. Für Ultras, die der organisierten Fanszene von Rot-Weiss Essen angehören, wäre es dagegen ein Wagnis, mit Bannern gegen Rassisten Stellung zu beziehen: Denn statt des Rechts auf freie Meinungsäußerung gilt im Block das Recht des Stärkeren. Körperlich überlegen sind den oft jugendlichen Ultras die Hooligans der „Alten Garde Essen“. Die T-Shirts der Kampfsportler, die diese sogar über einen Online-Shop vertreiben, sollen laut Augenzeugen einige der 20 Männer getragen haben, die am 16. Oktober Mitgliedern und Gästen des Awo-Fanprojektes Schläge androhten.

Die Täter hatten so die Vorführung des Dokumentarfilms „Blut muss fließen – Undercover unter Nazis“ über die Neonazi-Musikszene verhindert. Den Film zeigt RWE nun wie berichtet am 22. November im Assindia-Bereich des Stadions.

„Alle haben Angst vor denen“

Nach dieser Grenzüberschreitung der Hooligans, von denen auch die Sozialarbeiter des Fanprojektes einige namentlich kennen sollen, hatten viele RWE-Fans auf Konsequenzen gehofft. „Warum zeigt die Leute der Alten Garde keiner an, obwohl jeder weiß, dass sie es waren?“, empört sich einer, der sich auskennt in der Fanszene. Er liefert die Antwort hinterher: „Weil sie alle Angst vor denen haben.“

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So verwundert auch die paradoxe Reaktion auf das Bedrohungsszenario nicht. Während beim Spiel gegen Lippstadt Zuschauer auf der Haupttribüne vereinzelt Stellung bezogen („Kein Bock auf Nazis“), stellte sich die Westtribüne sogar – scheinbar – hinter die Schlägertruppe, indem sie deren Zensur-Forderung auf Spruchbändern wiederholte: „Keine Politik – nur der RWE“. „Es ist die alte Masche“, sagt Martin Endemann vom bundesweit vernetzten Bündnis aktiver Fußball-Fans (BAFF): „Mit dem Slogan wird antirassistisches Engagement als linksextrem diffamiert.“ An der Hafenstraße hätten Hooligans bereits 2008 eine Ultra-Gruppe eingeschüchtert und zur Aufgabe gezwungen, so Endemann.

Von den „Ultras Essen“, der größten Ultra-Gruppierung, hatten sich in den vergangenen Jahren außerdem mehrfach größere Gruppen verabschiedet. Insider berichten, zur Zersplitterung habe beigetragen, dass „Ultras Essen“ allergisch auf vermeintlich politische Themen reagierte. Bei RWE, so Endemann, engagiere sich heute keine Gruppe offen antirassistisch, weil die Alte Garde dies verbiete.

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Wenn RWE-Chef Michael Welling also fordert, im Stadion müsse Platz für den Kampf gegen Diskriminierung und menschenverachtende Regime sein, widerspricht das dem „Politikverständnis“ der Ordnungsmacht im Block und dem tatsächlich gesellschaftlich desinteressierten Mehrheit dort. Dass die Hooligans Politik machen, indem sie entscheiden, welche Filme nicht gezeigt und welche Fahnen nicht geschwenkt werden dürfen, beklage auch unter RWE-Fans längst niemand mehr öffentlich, sagt ein weiterer Szenekenner: „Wer will sich schon von Kampfsportlern bedrohen lassen?“

Thor Steinar trotz Verbotes im Stadion, Kontakte zu rechten Schlägern 

Darauf legen es auch die Ordner im Stadion nicht an, erzählt er weiter. Laut Stadionordnung ist Kleidung der bei Neonazis beliebten Marke „Thor Steinar im Stadion verboten. „Die Hooligans aber hindert niemand daran, manche Order tragen selbst Thor Steinar.“ “

RWE-Chef Michael Welling dagegen scheint entschlossen, sich mit denen anzulegen, die dem Fanprojektes drohten: „Sobald klar ist, wer das war, wird es eine unmissverständliche Reaktion des Vereins geben.“ Der Fußballmanager schließt auch Vereinsausschlüsse, Stadion- und Hausverbote nicht aus.

Die Mitarbeiter des Awo-Fanprojekts wollen auf Anfrage nicht beantworten, ob sie die Männer kennen, die ihnen und den Gästen der Filmvorführung Prügel angedroht haben. Die Sozialarbeiter sieht BAFF-Sprecher Endemann in der Zwickmühle: „Die bekannten Täter werden in der Szene gefürchtet, aber auch respektiert.“

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Auch wenn Fanprojekte Gewalt und Diskriminierung verhindern sollen: Für das Essener, so Endemann, stehe bei der Aufarbeitung des Hooligan-Eklats das Verhältnis zu anderen RWE-Fans auf dem Spiel. Tatsächlich wirbt die „Alte Garde“ unter den Ultras Kämpfer für ihre Nachwuchstruppe („Junge Garde“) an.

Zu ihren Freunden zählt die „Alte Garde“ auf ihrer Webseite zwar eindeutig rechte Hooligangruppen wie die „Standarde“ oder „Nordsturm Brema“, die zu verabredeten Ackerkämpfen zuweilen mit Hakenkreuz-T-Shirts antreten. Die Polizei Essen sieht trotzdem keine rechte Szene beim Club. Dass die Essener Hooligans stramme Neonazis wären oder wie jene Fußball-Gewalttäter in Aachen, Dortmund oder Braunschweig gemeinsame Sache mit organisierten Rechtsradikalen machten, bestreiten tatsächlich selbst die Kritiker der Gewalttäter – sogar im Schutze der Anonymität: „Die würden sich auch nicht als Nazis bezeichnen, auch wenn sie argumentieren, drohen und zensieren, als wären sie welche.“

Fanforscher und BAFF sehen RWE-Führung in der Pflicht

Gewalt suchende Fußballfans

Organisierte Hooligans verabreden sich mit Hooligans gegnerischer Mannschaften zu Massenschlägereien abseits der Stadien.

Anders als bei Ultras steht bei den Hooligans nicht die Unterstützung des eigenen Teams im Vordergrund.

Hochzeit des Hooliganismus waren die 80er und 90er Jahre. Damals prügelten sich die „Essener Löwen“.

In Essen sind vermeintlich linke oder „aufmüpfige“ Fans zwar anders als zuletzt in Duisburg noch nicht von Hooligans angegriffen worden. RWE-Chef Welling warnt dennoch vor einer Radikalisierung der Szene und der Eskalation der Konflikte: „Das müssen wir im Auge behalten.“

Auch Sozialwissenschaftler Gerd Dembowski von der Uni Hannover kennt die Konflikte in der „gemäßigten Essener Szene“, wie er sagt: Die Hooligans wollten ihr sozialdarwinistisches Weltbild, das auf Gewaltverherrlichung und die Überbetonung von Männlichkeit aufbaue, wie in vielen anderen Städten Ultras aufzwingen.

Dembowski und Endemann sehen in Essen nun vor allem den Verein in der Pflicht. Dass RWE und Fanprojekt die Neonazi-Doku im Stadion zeige, sei ein richtiger Schritt. Beide fordern aber auch „Sanktionen für die Täter“.