Essen. Ein Systemwechsel von der Straßenbahn zum Bus, wie aktuell diskutiert, hätte für Essen gravierende Folgen.

Hinterher war’s natürlich nur ein Missverständnis. Straßenbahnen durch Busse zu ersetzen, nein, so hatte es Essens Stadtkämmerer Lars Martin Klieve natürlich nicht gemeint, aber dabei doch eine gewisse Sympathie für diesen Mülheimer Sparansatz erkennen lassen. Das immerhin vor dem Hintergrund, dass bei einer halbierten RWE-Dividende rund 19 Millionen Euro in der Stadtkasse fehlen, dass die Gewerbesteuer einsackt, dass die Mittel aus dem Stärkungspakt des Landes niedriger ausfallen. Rund 70 Millionen Euro könnten 2014 fehlen, mit einer Haushaltssperre steuert Klieve dagegen und macht ebenso deutlich, dass auch die städtischen Töchter zum Sparen aufgefordert seien. Also ab mit der Tram aufs Abstellgleis?

Um es vorweg zu nehmen: Sparen würde die Stadt nur dann, wenn sie alle Straßenbahn-Linien, die 101, 103, 105, 106, 107 und 109, sowie alle Stadtbahn-Linien, die U 11, 17 und 18, komplett einstellen und ersatzweise auch keinen einzigen Bus fahren lassen würde. Allerdings müssten Essens innerstädtische Straßen dann täglich rund 93.000 Pkw zusätzlich verkraften, dies haben Nahverkehrs-Experten überschlägig berechnet. Essen würde der Verkehrs-Kollaps drohen, weil 350.000 Menschen täglich ja irgendwie in oder durch die Stadt kommen wollen. Das ist jedenfalls die Fahrgastzahl auf den Tram-Linien.

Leasingvertrag verbietet Umbau der Infrastruktur

Das will natürlich keiner. Aber rechnet sich nicht der Umstieg auf ein reines Bus-System? Ganz klar, nein. Ein Systemwechsel wäre vielmehr ein gigantisches kommunales Konjunkturprogramm. Um es einmal in Zahlen zu sagen: Um sämtliche 90 Straßen- und 45 Stadtbahnen durch Busse zu ersetzen, müsste die Evag ihren Fuhrpark von 200 Bussen um weitere 300 (!) aufstocken, dazu geschätzt 600 zusätzliche Fahrer einstellen. Das entspricht einem Plus bei den Personalkosten von 24 Millionen Euro im Jahr. Nach Sparen sieht das nicht aus. Das Problem ist ganz einfach, dass die Fahrgäste nur einer Stadtbahnlinie locker zwei Gelenk-Busse füllen, im Schüler- und Berufsverkehr auch einmal drei. Die nahverkehrsnutzende Bevölkerung müsste allerdings deutlich früher aufstehen: Während die U 11 beispielsweise von Altenessen in sieben Minuten am Berliner Platz ist, würde ein Bus mindestens 19 Minuten brauchen, im Berufsverkehr sicher auch mal länger. Also müssten wieder mehr Busse eingesetzt werden.

Aus Sicht der Evag rechnet sich folglich jede U 11 – sie ersetzt unterm Strich sechs Busse. Busse können auch nicht in U-Bahnhöfen halten, die gesamte Infrastruktur auf den 45 Straßenbahn- und 20 U-Bahn-Kilometern ist für den reinen Busverkehr nicht geeignet. Spätestens an den Knotenpunkten, an der Helenenstraße, am Rüttenscheider Stern etwa, am Fliegenbusch, müsste die Evag vieles umbauen. Die Busbahnsteige am Hauptbahnhof könnten den zu erwartenden Busverkehr erst gar nicht bewältigen. Andererseits darf die Stadt nicht so einfach die Infrastruktur um- oder gar zurückbauen, dies verbietet der US-Leasingvertrag (siehe Infokasten). Alles muss so bleiben, dass jederzeit eine Tram fahren könnte, und sei’s nur eine Museumsbahn.

"Diskussionen sind einfach nur überflüssig"

Man ahnt schon: Nicht einmal das Aus für die U-Bahn würde sparen helfen. Zwar kostet ihr Betrieb im Jahr rund 1,8 Millionen Euro, aber selbst wenn die Stadt nach Ablauf des US-Leasing-Vertrages 2032 beginnen würde, die Tunnel zu verfüllen, würde es teurer. Die „Ewigkeitskosten“ eines unterirdischen Bauwerks mit seinen Pumpwerken, Wartungsschächten und anderweitigen Hohlräumen kämen wohl kaum billiger. Rücklagen dafür wurden nie angelegt.

Das aber ist längst nicht alles: Da wären dann noch die Kosten für die Umschulung der Techniker, die Anpassung der Betriebshöfe, die deutlich mehr Stellplätze bräuchten – insgesamt müsste die Evag im hohen zweistelligen Millionenbereich investieren.

Was die Kunden davon halten? Lesen Sie dazu die NRZ-Umfrage. Über 125 Millionen Fahrgäste notiert die Evag im Jahr in Bus und Bahn, die zu 70 Prozent mit einem Zeitticket unterwegs sind. „Denen haben wir eine Leistung versprochen“, heißt es in der Evag-Zentrale in Rüttenscheid. Die wiederum ist vertraglich fixiert im Nahverkehrsplan. Viele Millionen-Projekte, wie der Berthold-Beitz-Boulevard, sind bereits in der Umsetzung, Landes- oder Bundesmittel dazu bewilligt, 27 Niederflustraßenbahnen bereits verbindlich bestellt. „Diese Diskussionen sind einfach nur überflüssig“, kann deshalb der Evag-Aufsichtsratsvorsitzende Wolfgang Weber nur den Kopf schütteln, „das muss endlich mal aufhören.“

Nahverkehrsnetz wichtig

In Frankreich beispielsweise erlebe die Straßenbahn gerade eine Renaissance, „aus guten Gründen“, wie Evag-Aufsichtsrat Rolf Fliß (Grüne) betont, „wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Straßenbahn.“ Denn neben den ökologischen gebe es auch ökonomische Gründe: „Ein gutes Nahverkehrsnetz ist Wirtschaftsförderung.“

Immerhin für zwei Unternehmen spielte die Anbindung an den Nahverkehr eine Rolle bei der Ansiedlung: Für die Deutsche Bank war es die U-Bahn am Bismarckplatz und die Nähe zum Bahnhof, für Thyssen-Krupp eine leistungsfähige Tram auf der Altendorfer Straße und eine vernünftige eigene Haltestelle. „Mit Bussen“, erinnern sich führende Evag-Mitarbeiter an die Gespräche, „hätten wir denen nicht kommen dürfen.“