Essen. . Urlaubstipp für Daheimgebliebene: Wenn es das Wetter erlaubt – fahren Sie bekannte Strecken mit dem Rad, aber zu völlig anderen Uhrzeiten als gewohnt. Das frühe Aufstehen wird mit spektakulärem Licht- und Farbenspiel der Natur belohnt. Ein Bericht
Wenn man 40 Jahre alt ist und einen Beruf hat, der einen erfüllt, eine liebe Ehefrau, zwei gesunde Kinder und ein Reihenhaus mit Gärtchen, dann: Ja, dann hat man eigentlich alles. Dann fängt man an, absurde, neue Wünsche zu entwickeln. Meiner lautete in diesem Sommer: Ich will um vier Uhr früh aufstehen und Fahrrad fahren. Fragen Sie mich nicht, wieso. Halten Sie mich für ein wenig seltsam. Ist mir egal. Ich wollte radeln in den Sonnenaufgang, morgens um vier.
Ich habe es nicht geschafft. Es wurde nämlich sechs Uhr. Das liegt daran, dass die Tage längst wieder kürzer werden, vor halb sechs am Morgen muss man Licht anmachen, und auf Radeln im Dunkeln hatte ich keine Lust, denn das kommt ja demnächst sowieso bald wieder wochen- und monatelang den gesamten langen Herbst und Winter hindurch.
Ruhr in Flammen - gar kein Problem
Es war also kurz vor sechs, als ich losfuhr an diesem Morgen, und dass „Ruhr in Flammen“ in Steele in diesem Jahr zum dritten Mal in Folge ausfällt (für September ist eine Ersatzveranstaltung geplant), das ist überhaupt kein Problem. Dafür müssen Sie nur bei entsprechendem Wetter so früh in Steele sein und nach Osten schauen. Dann sehen Sie: Ganz Steele in Flammen!
Die Sonne hinter Steeles größtem Hochhaus explodiert. Der Himmel leuchtet, glüht und strahlt in Zartrosa, Kanarigelb, Rubinrot. Aus der Ruhr steigt der Nebel in dicken Schwaden aus dem Wasser. Weißer Dunst steht auf dem Dunkel, das ist so viel Schönheit auf einmal, das hält man kaum aus.
Was mich wunderte: Ich war gar nicht allein. An der „Zornigen Ameise“ stand ich mit drei weiteren Radlern an der Ampel, und sie sahen alle nicht so aus, als würden sie ins Büro fahren oder aus der Kneipe kommen. Nein, es muss offenbar einige Frühfahrer geben in Essen. Ich habe die Männer aber nicht gefragt, ich wollte die Stille genießen. Obwohl – Stille an der Zornigen Ameise? Auf der Wuppertaler Straße jedenfalls ist stadteinwärts schon gut was los um diese Zeit, selbst in den Ferien. Und das liegt nicht nur an den Evag-Bussen, die aus dem Depot kommen, mit der Leucht-Aufschrift „Betriebsfahrt“ an der Front. Sie alle rollten los zum Dienstbeginn.
Ich bin dann einfach die Ruhr weitergefahren, und in Kupferdreh, am Baldeneysee, fuhr ich an Anglern vorbei, die ihre Sachen zusammenpackten. Von ihren Zelten tropfte der Tau. Sie müssen die ganze Nacht hier gesessen haben. Ich habe aber auch diese Männer nicht gefragt. Ich wollte nicht sprechen. Ich wollte radfahren. Radfahren und Angeln sind Tätigkeiten im Sitzen, mehr Gemeinsames gibt es nicht, glaube ich. Jedenfalls käme ich nicht im Traum darauf, die Nacht mit einer Angel in der Hand zu verbringen. Und die Angler wundern sich wahrscheinlich regelmäßig über radelnde Männer, die aus dem Bett gefallen zu sein scheinen.
Eine Stunde und insgesamt 27 Kilometer später war ich wieder zu Hause. Von meinem Tacho am Lenker tropfte jetzt auch der Tau. Ich kam ins Haus und wollte noch nicht mal duschen, ich hatte das Gefühl, das ist nicht nötig, ich bin ja schon frisch. Später kroch meine Familie aus den Betten an den Frühstückstisch. „Wie war’s“, fragte meine Frau und blinzelte mich verschlafen an. „Schön“, sagte ich. Was für eine maßlose Untertreibung.