Essen. . Die Essener Seniorin Ilse Volbracht (90) lebte bis zu einem Klinik-Aufenthalt selbstständig in ihrer eigenen Wohnung. Dann sollte sie sich für kurze Zeit in einem Altenheim erholen – das ist vier Monate her. Längst möchte die Dame in ihre Wohnung zurückkehren. Ärzte, DRK, Gesundheitsamt und Gericht streiten über den Fall.
Bis zum Frühjahr war Ilse Volbracht eine rüstige 90-Jährige, die allein in ihrer Wohnung in Holsterhausen lebte. Nun sitzt sie im Rollstuhl, wohnt im DRK-Seniorenzentrum an der Henri-Dunant-Straße in Rüttenscheid und ist verzweifelt: Sie bekommt keine Reha, hat kein Telefon – und keine Perspektive, wieder nach Hause zurückzukehren. „Ich hab’ eigentlich mit dem Leben abgeschlossen.“
Alles begann mit einem kleinen Schwindelanfall und dem Rat ihrer Hausärztin, die Sache stationär abklären zu lassen. Ilse Volbracht kam ins Elisabeth-Krankenhaus und brach sich just dort den Arm; der Aufenthalt verlängerte sich, die Patientin baute ab. Als ihre Entlassung anstand, riet der Sozialdienst der Klinik zur Kurzzeitpflege.
„Der Arzt sagte, sie würde allein zu Hause nicht klar kommen“, so Dorothee Renzel-Walter, Sprecherin des Klinik-Trägers Contilia. Trotz dieser Prognose sah man „keinen Bedarf für eine Reha“. Vielmehr sollte Ilse Volbracht ins Altenheim, vorübergehend. „Eine dauerhafte Pflege war nicht vorgesehen“, betont Renzel-Walter.
Der Umzug ins Seniorenzentrum sollte von kurzer Dauer sein
In dieser Lage verließ sich Frau Volbracht, die verwitwet und kinderlos ist, auf Frau D., eine Bekannte, der sie einmal eine Vollmacht erteilt hatte. Die arrangierte am 20. März den Umzug in das Seniorenzentrum des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Neben Frau D. unterschrieb auch Ilse Volbracht.
Bald darauf wurde die Kurzzeitpflege in eine vollstationäre Unterbringung umgewandelt, wieder mit Unterschrift der Seniorin, der wohl zu spät dämmerte, was sie da abgesegnet hatte. Sie entzog Frau D. nun die Vollmacht, hatte aber allein keine Chance, ihre Situation zu ändern. „Ich habe öfter gesagt, dass ich nach Hause will. Ich fühle mich hier wie im Käfig.“
Die Seniorin fühlt sich gefangen
Die gut gestellte Dame teilt sich Zimmer und Bad mit einer anderen Bewohnerin; sie hat Bett, Stuhl, Schrank und Nachttisch. Ihre eigenen Möbel stehen in der Wohnung, seit knapp vier Monaten zahlt sie neben ihrer Miete das Altenheim: „1780 Euro werden monatlich für das Heim fällig, dafür dürfte man auch eine gewisse Fürsorge für Frau Volbracht erwarten“, sagt Christoph Imcke. Er ist seit 25 Jahren ihr Zahnarzt, hat regelmäßig Hausbesuche gemacht: „Sie war immer fit.“ Nun erlebe er seine Patientin traurig und hilflos.
„Wenn ich zur Toilette muss, wird geschimpft, dass ich zu oft rufe“, klagt sie. Gleichzeitig werde nichts getan, um sie zu mobilisieren. „Ich möchte gehen üben, aber ich mache hier nichts, ich liege fast immer im Bett“, sagt Ilse Volbracht. Imcke möchte ihr helfen, so mobil zu werden, dass sie in ihre Wohnung zurück kann; darum ließ er sich eine Vollmacht von ihr ausstellen.
Heimleitung leitete Betreuungsverfahren ein
Das wiederum fand die Heimleitung verdächtig: Sie leitete im April ein Betreuungsverfahren für Frau Volbracht ein, „weil sie aus unserer Sicht bestimmte Geschäftsfelder nicht mehr selbst regeln kann und es im Hintergrund offenbar Wirkpersonen gibt, wo wir sagen, da ist eine professionelle Betreuung zu ihrem Schutz angebracht.“ So sagt es DRK-Kreisgeschäftsführer Alfred Scherer. Christoph Imcke habe man darum ein Hausverbot erteilt.
Das Altenheim beteuert, alles für sie zu tun
Den Vorwurf fehlender Mobilisierung weist Scherer zurück: „Wir sind keine Reha-Einrichtung, wir sind weder vom Personal noch von den Möglichkeiten so ausgestattet.“ Man habe Frau Volbracht aber ein Rezept für Krankengymnastik besorgt und wende dieses an. Sprich: „Wir aktivieren sie im Rahmen der täglichen Pflege, etwa durch den Transfer vom Bett in den Rollstuhl oder zur Toilette.“
Man darf bezweifeln, dass das die alte Dame wieder auf die Beine bringt. Doch Scherer sagt, es stehe ihr ja jederzeit frei, auszuziehen, trotz Rollstuhl: „Was hindert sie daran, sich ein Hilfe-Netzwerk für zu Hause zu spinnen?“ Ein Hinderungsgrund könnte sein, dass Frau Volbracht nicht mal Telefon hat. Ein Missverständnis, sagt Scherer: „Telefon kann sie sofort haben.“
Nun muss das Vormundschaftsgericht über den Fall entscheiden
Am 25. April beantragte das DRK-Seniorenzentrum, in dem Ilse Volbracht zur Zeit wohnt, ein Betreuungsverfahren. Den Antrag hat die 90-Jährige selbst unterschrieben. Entschieden wird vom Vormundschaftsgericht, das zum Verfahren nichts sagt. Der Sprecher des Amtsgerichts, Michael Schütz, erklärt nur allgemein: „Das Vormundschaftsgericht prüft, ob Menschen geschäftsfähig sind. Wenn dazu ein Gutachten eingeholt wird, spricht viel dafür, dass eine Betreuung für möglich gehalten wird.“
Manfred Hildebrand von der Betreuungsstelle im Gesundheitsamt ist eingeschaltet worden, um im Fall von Ilse Volbracht den Sachverhalt zu ermitteln. Er hat dazu ein fachärztliches Gutachten angeregt. Er selbst empfehle für sie eine Berufsbetreuerin: „Es gibt da eine Sozialpädagogin, die dafür sorgen würde, Frau Volbrachts Wünsche zu ihrem Wohl umzusetzen.“
Eine solche Betreuung könne übrigens zeitlich wie thematisch begrenzt sein und müsse sich keineswegs auf alle Lebensbereiche (Geld, Gesundheit, Aufenthaltsbestimmungsrecht...) beziehen. „So ein Auftrag könnte auch einfach ,Heimplatzsuche’ lauten. Das Gericht sollte die Betreuung immer so gering wie möglich ansetzen.“