Essen. Der Politikwissenschaftler Burak Copur fordert für Essen einen Masterplan „Internationalisierung“, um mehr ausländische Fachkräfte anzulocken. Aus seiner Sicht war die Stadt mit dem Kulturhauptstadtjahr schon einmal weiter. Copur, auch Stadtrat, sieht vor allem die Verwaltung in der Pflicht.
Die Essener Wirtschaftsförderung möchte den Wirtschaftsstandort Essen mit einem Masterplan Industrie zukunftsfähig machen. Der Politikwissenschaftler und grüne Ratsherr Burak Copur sagt: Das reicht nicht. Er fordert, dass Essen attraktiver für ausländische Fachkräfte wird. Wie das gelingen kann, darüber sprach Janet Lindgens mit ihm:
Herr Copur, Sie fordern für Essen einen Masterplan Internationalisierung. Warum?
Burak Copur: Internationalisierung ist ein starker Standortfaktor. Es ist wissenschaftlich erwiesen: Je offener, internationaler eine Stadt ist, desto wirtschaftlich erfolgreicher ist sie. Deshalb muss es darum gehen, mehr ausländische Fachkräfte nach Essen zu ziehen bzw. hier zu halten. Bislang ist Essen aber eher Provinz als Metropole.
Woran machen Sie das fest?
Copur: Das geht schon gefühlsmäßig mit kleinen Dingen los. Schauen Sie doch mal auf die Beschilderung in der Stadt oder die Ansagen in Bussen und Bahnen. Außer Deutsch finden Sie da nichts. Auch kostenloses W-Lan in der Innenstadt wäre ein Zeichen für eine Metropole, die Neuankömmlinge empfängt. Und dann schauen Sie sich die schleppende Einführung eines Welcome-Centers in Essen an.
Brauchen wir wirklich solch ein Welcome-Center? Deswegen kommen doch keine Fachkräfte nach Essen.
Copur: Stimmt. Es ist aber ein Baustein von vielen. Ich kämpfe so vehement darum, um überhaupt mal etwas zu bewegen. Die Willkommenskultur muss natürlich weiterentwickelt werden, besonders bei der Ausländerbehörde. Insider wissen, dass sie ja nicht wegen ihrer Offenheit, sondern trotz ihrer Anti-Willkommenskultur zum Modellprojekt ausgewählt wurde.
Woran misst sich, ob eine Stadt international ist?
Copur: Beispielsweise an der Zahl der Hochqualifizierten, der ausländischen Studenten, einem Anti-Diskriminierungskonzept, der Touristendichte, der Hotspots und der internationalen Institutionen.
Wie kann Essen denn Metropole werden? Ein paar Schilder und ein Welcome-Center reichen da doch nicht.
Copur: Essen sollte ein internationales Wissenszentrum werden. Das heißt, die schon heute erfolgreich arbeitenden Forschungseinrichtungen – wie Uni, Folkwang, Kulturwissenschaftliches Institut, FOM, Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung – müssen stärker in einem eigenständigen Gremium vernetzt werden. Eine weitere Idee wäre ein „Büro für internationale Beziehungen“ wie in Dublin einzurichten. Das würde dafür sorgen, dass Essen mit anderen Metropolen Kontakte und Netzwerke aufbaut. Und schließlich sollte die Stadt über ein „Leadership-Programm“ in Form von Stipendien zur Anwerbung von Führungskräften nachdenken.
Ist das nicht Aufgabe der Wirtschaft statt der Stadt?
Copur: Wenn Essen seinen provinziellen Charakter loswerden und international wahrgenommen werden will, ein klares Ja! Wir waren mal weiter mit der Kulturhauptstadt. Eine neue Messe alleine reicht da auch nicht.
"Internationalisierung muss sich auch in der Chefetage wiederspiegeln"
Personaldezernent Christian Kromberg hat angekündigt, künftig mehr Migranten in der Essener Verwaltung einzustellen. Ein richtiger Schritt?
Copur: Das Leistungsprinzip, das Herr Kromberg anspricht, ist doch nur vorgeschoben. So, wie es heute läuft, haben Migranten doch gar keine Chance, ihre Leistung zu zeigen.
Warum?
Copur: Weil sie im Bewerbungsverfahren schon scheitern. Deshalb bin ich für ein anonymisiertes Verfahren für die Besetzung von Verwaltungsstellen wie die Stadt Celle es als erste Stadt eingeführt hat. Dort hat man auf diesem Weg die Stelle des neuen Stadtwerke-Chefs mit einer Person indischer Herkunft besetzt. In Essen wäre das unvorstellbar, weil sich hier die Etablierten immer noch die Posten zuschieben. Internationalisierung muss sich eben auch in den Chefetagen einer Verwaltung widerspiegeln.
Das Thema Internationalisierung in Essen wäre doch ein gutes Thema für den Strategieprozess 2030, den der OB angestoßen hat.
Copur: Das wäre es, aber es kommt als ein systemisch-konzeptionell entwickeltes Thema nicht vor. In dem Papier steht nur einmal das Wort „international“ und das auch noch in Klammern. Sie brauchen sich nur die Zusammensetzung des Beraterkreises für den Strategieprozess anzuschauen. Trotz den von mir geschätzten Beteiligten gibt es dort keinen einzigen renommierten Vertreter der größten Migrantengruppen in der Stadt. Deshalb sehe ich auch diesen Prozess mit Blick auf eine Internationalisierung skeptisch.
Wer müsste sich des Themas annehmen?
Copur: Eigentlich ist das ein klassisches Thema für eine Wirtschaftsförderung. Der Masterplan Internationalisierung könnte mit dem Masterplan Industrie, den die EWG gerade angeht, entwickelt und verzahnt werden. Doch leider gibt es oft zwei typische Abwehrreflexe unserer Verwaltung auf innovative Ideen: „machen wir schon“ oder „brauchen wir nicht“.