Essen. Messe-Umbau in der Kritik: Der frühere Messe-Direktor Elmar Braun über verfehlte Kongress-Pläne, eine zu starke Fokussierung auf die „Schweißen und Schneiden“, den fatalen Abriss der Galeria und das Dauer-Reden über Kleinklein statt über die großen Chancen.
Herr Braun, Sie haben sich als ehemaliger Messe-Direktor kritisch in die Diskussion um den faktischen Messe-Neubau eingeschaltet – nicht gerade zur Freude ihrer früheren Kollegen bei der Messe. Was treibt Sie an?
Elmar Braun: Ich mache mir Sorgen und will gleichzeitig meine Erfahrungen anbieten. Ich habe nun mal 30 Jahre bei der Messe Essen verbracht, viele Debatten kenne ich noch aus der Nähe, sie wurden so oder ähnlich schon vor vielen Jahren geführt. Meiner Ansicht nach läuft im Moment bei der Messe einiges in die falsche Richtung.
Warum?
Braun: Erst mal das Positive: Die Politik hat auf breiter Basis erkannt, dass die Messe für Essen von großer Bedeutung ist und man sie auf keinen Fall in Frage stellen darf. Auch der Betrag von 123 Millionen Euro, den die Politik bereitstellen will, ist keineswegs zu hoch, um der Messe eine gute Zukunft zu sichern. Eher muss man sogar sagen, dieser Betrag ist knapp, denn es gibt viel zu tun.
Was stört sie nun?
Braun: Zunächst der Begriff Ertüchtigung. Es handelt sich faktisch um einen Neubau. Ich bin durchaus angetan von der geplanten Architekturlösung, vom neuen Gesicht der Messe, aber man sollte schon die Dinge so formulieren wie sie sind. Weitgehend verfehlt halte ich die Planung und das Finanzkonstrukt für das neue Kongresszentrum. Dass man das neue Messe-Verwaltungsgebäude aus Gewinnen des Kongressgeschäftes finanzieren will, ist einfach nur ein Witz. Die Kongress-Zentren in Deutschland, die eine schwarze Null schaffen, sind schon gut, mehr ist einfach unrealistisch. Schließlich: Es war seit langem überfällig, so etwas zu bauen, aber doch bitte nicht unter die Erde.
Ist das den Leuten nicht egal, solange der Komfort stimmt?
Braun: Wir haben die Gruga nebenan, und Kongress-Zentren sind überall auf der Welt so angelegt, dass sie schöne Blicke bieten. Wir könnten das auch. Wer hingegen schätzt denn das Gefühl, im Keller zu sitzen? Nein, atmosphärisch ist das vollkommen daneben. Wenn man jetzt soviel investiert, dann bitte richtig.
Der Raum ist begrenzt. Und es geht eben darum, genügend Platz für die Messe-Hallen zu bekommen.
Braun: Das ist für mich der gravierendste Fehler der neuen Planung. Ich halte es für falsch, soviel Hallen-Kapazität für eine Messe vorzuhalten, die nur alle vier Jahre für sechs Tage in Essen ist. Alle anderen Messen kämen mit weniger gut klar.
Sie meinen die große Fachmesse „Schweißen und Schneiden“. Wollen sie die opfern?
Braun: Nein, natürlich soll sie solange in Essen bleiben wir irgend möglich. Aber die Fokussierung auf diese Veranstaltung birgt große Risiken. Zunächst kann es sehr schnell passieren, dass sie doch abwandert - einige Marktführer, die das wollen, würden schon genügen, und da helfen dann auch keine Verträge. Dann wird ja so gebaut, dass die nächste Schweißen und Schneiden 2017 in die dann teilweise neue Messe gerade so reinpasst. Sie hat dann aber wieder keine Entwicklungsmöglichkeit. Es ist nicht klug, auf diese eine Karte so zu setzen.
Was schlagen Sie stattdessen vor?
Braun: Ich würde auf 10.000 Quadratmeter verzichten und mit dem knappen Geld lieber die Messe insgesamt optimal und großzügig ausbauen. Dann könnte man sich auch den Irrsinn schenken, die erst 2000 fertig gestellte Galeria wieder abzureißen. Die Galeria wird sehr gut angenommen, Die Leute gehen da gern hin, man kann mal durchatmen, es war eine geniale Lösung des Architekten Bellini, dieses Rückgrat zu bauen. Die Galeria hat neue Frische ins Gelände gebracht. Entscheidend ist aber etwas anderes.
Nämlich was?
Braun: Es sollte um Qualität gehen. Nur mit Beton Großhallen hinzuklotzen mit der Folge, zwangsläufig vieles andere vernachlässigen zu müssen, das ist einfach kein gutes Konzept.
Sie sagen, die jetzigen Baupläne führten dazu, dass für Arbeiten an der Gesamtqualität des Geländes nicht genügend Geld da ist. Woher wollen Sie das so genau wissen?
Braun: Elmar Braun: Der Baubevollmächtigte der Messe, Roland Weiss, klagt doch jetzt schon, es sei alles auf Kante genäht. Die Folgen einer solchen Aussage kann man sich doch ausmalen. Fragen Sie mal die Veranstalter der großen Ertragsbringer-Messen, denen geht es nicht um die Schaffung von Quadratmetern um jeden Preis. IPM Pflanzenmesse, Security, Reifen, Sanitär-Heizung-Klima oder E-World geht es um Qualität. Eine attraktive Gesamtaufwertung des Geländes würde sich auszahlen. Einfach nur auf mehr Ausstellungsflächen zu setzen, ist für mich kein Konzept.
Die Messe Essen hatte immer den Anspruch, eine mittlere Messe mit hoher Qualität zu sein.
Braun: So ist es. Das war ein stimmiges Konzept. Heute macht man es sich etwas einfach. Man denkt in Quantitäten, und an eine bessere Ordnung des Geländes. Das kann man machen, es ist jedoch die simpelste Lösung. Aber die Qualität und die Zukunftsperspektiven bleiben auf der Strecke. Ich behaupte: Viele Messen könnten sogar gewinnen, wenn sie konzentriert mit etwas weniger Fläche arbeiten würden. Da ist manches doch künstlich aufgeblasen worden. Auf manche Messe kann jeder kommen, der Kaugummis verkaufen will, weil eben viele Menschen da sind. Das dient aber nicht der Qualität, und darauf sollte es in Essen ankommen.
Eines der größten Probleme der Messe Essen ist ihre enge Einbettung in den Stadtraum.
Braun: Ja, und das ist in Wahrheit ihre größte Stärke. Die Messe, der Grugapark und der pulsierende Stadtteil Rüttenscheid - diesen Dreiklang zusammen zu denken halte ich für sehr wichtig. Das hat so keine andere Messe zu bieten, und daraus wird nach wie vor viel zu wenig gemacht. Denken Sie nur, was hier an Veranstaltungen abgeht, Konzerte, Kneipenleben, Internationalität, die Treff-Funktion. Das ist die Bühne der Stadt Essen. Auch die Erschließung stimmt - Flughafen, Autobahn, U-Bahn - alles da oder in der Nähe. Statt dies als große Chance zu begreifen, wird über einzelne Gruga-Bäume gestritten. Dieses Kleinklein bindet ungeheure Energien.
Warum ist das so?
Braun: Es macht zu vielen Akteuren persönlich Spaß, sich gegenseitig zu beharken und dabei sind Gruga-Bäume ein beliebtes Mittel. Was komischerweise kaum jemanden stört, ist das Erscheinungsbild rund um die Messe: Die uralten, hässlichen Betonkübel auf der Alfredbrücke, die dunklen, schmutzigen Ecken darunter, das Unkraut auf den Mittelstreifen, der fehlende Blumenschmuck - all das kümmert niemanden. Es ist eine Schande.
Warum sehen die Essener die Messe so kritisch? Viele Politiker glauben, ein Bürgerentscheid gegen die Messe-Neubauten könnte Erfolg haben.
Braun: Ich stehe zur Messe Essen, um das noch mal zu betonen, und ich würde sehr begrüßen, wenn der Rat der Stadt demnächst den Beschluss fasst, die 123 Millionen Euro zu investieren. Aber es stimmt, das Image der Messe ist bescheiden. Das liegt an Leuten, die von „Messe-Krake“ redeten, und nicht begreifen wollen, wie wichtig dieser Ausstellungsbetrieb für Essen ist. Die Zahl der Jobs, die als Sekundäreffekt entstehen - es sind 3500 allein in Essen - ist nicht zu bezweifeln. Ich habe in meiner aktiven Zeit viel auch mit anderen Messen zu tun gehabt, ich kenne keine, über die in der eigenen Stadt so viel unsachliche Kritik geäußert wurde - bis hin zur absurden Forderung sie zu schließen.
Das Gespräch führte
Frank Stenglein
Essen aus der Luft
