Essen. In der Politik rumort ein Streit, welche Bestandteile des 123-Millionen-Ausbaus der Rat bereits abgesegnet hat - beziehungsweise welche noch beschlossen werden müssen. Die Grünen drohen mit einem Bürgerbegehren, doch das gibt es womöglich nur durch die Hintertür - und könnte den Bau verzögern.
Rauf auf die Tagesordnung im Rat, runter von der Tagesordnung. Lieber höher bauen oder lieber breiter, eine Bürgschaft nutzen oder nee, lieber soll die Stadt finanzieren, dafür den Kongress-Saal auf dem Dach errichten, obwohl..., ach was, besser unter Tage, und statt den Brückenschlag über die Norbertstraße zu wagen, könnte man das Messehaus Süd abreißen. Und Investoren ranlassen. Oder macht’s die Stadt nicht vielleicht doch billiger?
Kein Zweifel: In Sachen Messe ging es zuletzt ziemlich hin und her. Was Wunder, dass mancher bereits die Übersicht verloren hat, was denn eigentlich nun fest beschlossen wurde und wo bislang nur eine grundsätzliche Linie skizziert ist. Doch jetzt wird diese Unklarheit dem Projekt womöglich zum Verhängnis.
Verwunderung über "Demokratieverständnis" von OB Paß
Denn dass die Politik ja im Grundsatz schon alles abgesegnet hat, dass allen Änderungen zum Trotz „ein formaler neuer Ratsbeschluss also nicht erforderlich“ ist, wie Oberbürgermeister Reinhard Paß schon Mitte Mai formulierte und jetzt von seinem Büro gegenüber der NRZ noch mal unterstreichen ließ, dies stößt auf heftige Kritik in der Politik: „Ein abenteuerliches Demokratieverständnis“ bescheinigt die grüne Fraktionsvorsitzende Hiltrud Schmutzler-Jäger „fassungslos“ dem OB. Und auch Thomas Kufen, der CDU-Chef im Rat, ist irritiert: Mindestens für die zuletzt ins Auge gefassten einschneidenden Änderungen fehle es an der demokratischen Legitimierung, und der OB tue dem Projekt des Messe-Ausbaus „keinen Gefallen, wenn er das so händelt, als sei alles beschlossene Sache“.
Nun will ja selbst der OB einen „Bekräftigungs-Beschluss“ des Stadtparlaments über die jüngste Bau-Variante. Die große Frage ist nur: Ist dieses Votum eher belanglos oder entscheidend als formale Grundlage für die Messepläne?
Die Antwort auf diese Frage ist keineswegs müßig, denn da der Plan von Grünen und Linken, die Bevölkerung per Ratsbürgerentscheid zu befragen, wohl an der dafür erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit scheitert, fassen beide Parteien ein Bürgerbegehren ins Auge. Das aber müsste binnen drei Monaten nach dem Messe-Beschluss eingereicht sein. Und da liegt der Hase im Pfeffer: Haben die Messe- und Etatbeschlüsse im vergangenen Jahr bereits alle Wege geebnet? Dann ist zugleich auch die Begehrensfrist längst abgelaufen. Oder muss der Rat die nicht unwesentlichen Korrekturen noch formal absegnen? Dann würde dieser Ratsbeschluss – geplant ist er übrigens für den 16. Juli – die Frist erst auslösen.
Ein Begehren würde viel Zeit kosten ....
Und zwar mit allen Konsequenzen für das 123-Millionen Euro-Projekt der Messe-Ertüchtigung, das ja vor allem unter einem leidet: dem Zeitdruck. Eingepasst zwischen zwei Termine der Weltmesse Schweißen und Schneiden soll das Bauvorhaben sich von Herbst 2013 bis Herbst 2017 in den Messe-Kalender einfügen. Ein mögliches Bürgerbegehren aber würde mindestens ein halbes Jahr kosten.
Denn die Unterschriften fürs Begehren dürften bei einem Beschluss am 16. Juli bis zum 16. Oktober gesammelt werden, danach schlösse sich die Prüfung der Unterzeichner an, und frühestens im November könnte der Rat über die Zulässigkeit befinden. Entsprechende Unterstützung vorausgesetzt, würde der Bürgerentscheid dann im Januar 2014 über die Bühne gehen. Bis dahin täte sich – nichts.
... und käme höchstens durch die Hintertür
Auch im Rathaus dämmert manchem, dass Grüne und Linke da womöglich die Lunte an einen politischen Sprengsatz legen. Und nun stellt man die treffliche Frage, ob denn das Bürgerbegehren überhaupt zulässig wäre – oder eben obsolet, so wie schon in Sachen Kulturgut. Eine offizielle Stellungnahme, welcher rechtlichen Position die hauseigenen Rechtsexperten zuneigen, mochte die Stadt gestern auf die Schnelle nicht preisgeben.
Hinter den Kulissen aber ist zu hören, dass ein Bürgerbegehren in Sache Messe wohl eher nicht zulässig wäre. Denkbar ist allerdings, dass eine Hintertür die Möglichkeit zum Bürgerbegehren eröffnet, dann nämlich, wenn der Rat im Juli wie geplant die Finanzierungs-Konditionen für das Messe-Jahrhundertprojekt ändert: Statt Kredite der Messegesellschaft per Bürgschaft abzusichern, will die Stadt einen Kommunalkredit aufnehmen, an die Messe teurer weiterreichen und die Zinsmarge selbst einstreichen.
Kommt es dazu, dann wäre tatsächlich der Weg frei, die Bürger nach ihrer Meinung zur Messe zu befragen.