Essen. . Politik und Verwaltung streiten um die Harmuth-Pläne für eine 200-Meter-Anlage

Industriegebiete gibt es so viele nicht in Essen: Das weitläufige Econova-Gelände zwischen Bergeborbeck und Vogelheim zählt dazu, die Flächen rund um den Stadthafen und am Kanal – das war’s dann schon. Wer als Unternehmer darauf angewiesen ist, dass es laut wird in der Werkshalle, dass es staubt, lärmt und oben aus dem Schornstein nicht gerade hochgebirgstauglicher Sauerstoff entweicht, der ist hier bestens aufgehoben. In keinem Gewerbegebiet würde er dafür eine Genehmigung bekommen.

Industriegebiet, das ist beispielsweise die Alu-Hütte, ein Klassiker. Den Entsorger Harmuth hat es vor allem deshalb in den Essener Norden gezogen. Das ist abseits der vielen gewerblichen Arbeitsplätze, die eine Stadt wie Essen dringend benötigt, nicht immer ein Quell der Freude für die Menschen in Vogelheim, die mitunter die negativen Folgen zu spüren bekommen. Vielleicht erklärt sich daher der Groll gegen einen Unternehmer, der ausgerechnet im Industriegebiet auf die ökologische Energiewende setzt: Harmuths Windrad-Pläne müssen derzeit einigen Gegenwind aushalten.

Erstaunliche Konstellation

Der Protest gegen die Anlage hat in der Tat zu einer erstaunlichen Konstellation in der Ortspolitik geführt, weit entfernt von der Euphorie im städtischen Umweltdezernat über Essens erstes Windrad: So lehnen in einem gemeinsamen Antrag CDU, SPD, Die Linke/FEN und die Bürgerliste Nord in der zuständigen Bezirksvertretung V für Altenessen, Vogelheim und Karmap den geplanten Neubau kategorisch ab und fordern die Stadt Essen auf, dies im Genehmigungsverfahren, das die Bezirksregierung Düsseldorf derzeit betreibt, so festzuhalten.

Es sei schlichtweg erstaunlich, dass Harmuth mit einer Sondergenehmigung den Bau eines 200 Meter hohes Windrades plane, obwohl hier eine derartig dimensionierte Anlage gar nicht zulässig sei, schreiben die Fraktionsvorsitzenden Theo Jansen (SPD), Ex-Kämmerer Johannes Werner Schmidt (CDU), Dieter Stodiek (Linke/FEN) und Bernhard Derks (BL Nord). „Wir verstehen vor allem nicht, warum für Harmuth wieder einmal eine Ausnahme gemacht wird, obwohl am nahen Sturmshof und auf der Fläche der Kohlereserve am Kanal Präferenzflächen für Windenergie ausgewiesen sind“, sagt Theo Jansen. „Das ist doch nur eine Frage der Zeit, bis der nächste Unternehmer ebenfalls sein Windrad haben will, dazu auf Harmuths Extrawurst verweist und wir hier eine Verspargelung von Industrie- und Gewerbegebieten Tür und Tor öffnen.“ Wozu habe die Stadt denn nun im regionalen Flächennutzungsplan die Windkraftgebiete ausgewiesen? „Damit wir als erstes davon abrücken?“ Dass Harmuth eine 200-Meter-Anlage plane, sei ganz klar der Tatsache geschuldet, dass sich das Windrad sonst nicht rechne.

Möglicherweise liegt es aber auch einfach daran, dass Harmuth immer noch wie ein rotes Tuch wirkt, dass im Norden immer noch die Verärgerung darüber spürbar ist, dass man seine Verbrennungsanlage nicht verhindern konnte, obwohl sie von der Bezirksregierung in Düsseldorf laufend überwacht wird. Der PCB-Vorfall vor einigen Monaten, als Harmuth unerlaubt belasteten Bauschutt auf dem Firmengelände lagerte, wirkt ebenfalls nach: „Das ist ein sehr schwieriges Verhältnis“, räumt Theo Jansen unumwunden ein.

Harmuth empfindet Protest als nur vorgeschoben 

Doch Harmuth findet auch Unterstützer im Norden, bei der FDP – und bei den Grünen. „Ich kann den Protest nicht ganz verstehen“, sagt Joachim Drell, „da ist doch vieles vorgeschoben“. Eine „Türöffnerfunktion“ für eine Verspargelung könne er nicht erkennen, „das ist vielmehr ein Kampf gegen Windmühlen. Wir wollen doch alle die Energiewende, dann müssen wir solche Anlagen auch genehmigen“. Selbst wenn Harmuth sie baue. Sein Mitstreiter ist in diesem Fall Thomas Spilker (FDP), der – anders als das Anti-Windrad-Bündnis – die Anlage als „Landmarke“ für den Norden als „Bereicherung“ versteht: „Jedenfalls wirkt ein Windrad allemal schöner als der Schlot der Alu-Hütte.“ Ohnehin sei der Protest nur ein „Sturm im Wasserglas“: „Ich gehe davon aus, dass Düsseldorf das Windrad genehmigen wird.“

So sieht das auch die Stadt: Harmuth habe einen Rechtsanspruch auf eine Genehmigung, wenn alle Bestimmungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes erfüllt, auch sonst weder gegen Vorschriften noch Belange des Arbeitsschutzes verstoßen werden. Eine Beteiligung politischer Gremien oder der Öffentlichkeit sehe das Gesetz erst gar nicht vor, es sei denn, der Antragsteller wünsche dies. „Dazu ein ganz klares Nein“, heißt es seitens Harmuth. Die Abneigung scheint doch gegenseitig.

Für die Stadt gibt es nichts zu diskutieren

Aus Sicht der Stadt gibt es aber auch nichts zu diskutieren: Das Firmengelände, auf dem das Windrad entstehen soll, liegt mehr als 1000 Meter von jeder Bebauung entfernt, dazu eben mitten im Industriegebiet, unweit der Alu-Hütte. Die Umweltauswirkungen, wie Schattenwurf oder Lärm, seien hinreichend untersucht worden, ebenso die Aspekte des Artenschutzes. Hier hat Harmuth für die Falkenpopulation, die am Trimet-Schornstein nistet, zusammen mit Fachleuten vier alternative Brutplätze im Stadtgebiet geschaffen. Dieses Problem dürfte ausgeräumt sein.

Kritischer steht es um den Lärmschutz, denn hier verweist die Stadt darauf, dass die Anlage nachts nur im „schalloptimierten Leistungsmodus“ von 1000 kW gefahren werden soll, um auch wirklich jede Lärmbelästigung selbst in der „ungünstigsten Situation“ zu vermeiden. Das allerdings wäre gerade einmal ein Drittel der Nennleistung. Ob der Schwerverkehr auf der Hafenstraße jemals leiser sein wird, als ein Windrad in ein Kilometer Entfernung?

Rentabilität wird geklärt

An diesem Punkt verweist man bei Harmuth gerne auf die Rentabilität: „Wenn sich die Anlage nicht rechnet, werden wir von der Investition abrücken, so einfach ist das.“ Sobald die Genehmigung aus Düsseldorf vorliegt, werde man die Unterlagen mit Vertretern der Banken besprechen: Kein Gewinn, keine Finanzierung, kein Windrad. Immerhin müssen rund fünf Millionen Euro gestemmt werden: „Wir werden das sehr genau kalkulieren.“ In zwei bis drei Wochen wird sich also entscheiden, ob das Windrad gebaut wird. Und es wird eine Antwort auf die Frage geben, was in einem Industriegebiet möglich ist – oder eben nicht.