Essen. . Die FDP verpetzt die Linken beim Oberbürgermeister wegen deren im Internet für jeden nachlesbaren Berichte von Ratssitzungen. Wie viel Nichtöffentliches darf da eigentlich rein? Das Rechtsamt soll dies nun prüfen. Die FDP ist über das “unkollegiale Vorgehen“ der Linken “erschüttert“.

Elf Monate sind es ja nur noch bis zur Kommunalwahl 2014, und spätestens jetzt scheint es den Ratsparteien ratsam, für die politische Auseinandersetzung verstärkt auf das mittlerweile eingeübte Instrument der so genannten „Feindbeobachtung“ zu setzen.

Die verlangt beispielsweise von in der Wolle gewirkten Liberalen, die Internetseiten der Linken zu durchforsten, was einem Freidemokraten allenfalls dann große Freude macht, wenn man dort auch fündig wird – wie jetzt der Fraktionsgeschäftsführer der Rats-FDP, Horst Janke.

Bürgermeister soll Sachverhalt klären

Der vermeldete gestern einen „eklatanten Vertrauensbruch“ der Linksfraktion, weil diese in ihren für jeden nachlesbaren Berichten aus dem Rat auch vor dem nichtöffentlichen Teil nicht Halt macht. Ein „unkollegiales Vorgehen“, das die FDP erklärtermaßen „erschüttert“, zumal „zum Teil sehr detailliert unter sekundengenauer Angabe der Uhrzeit“ berichtet wird, was sich ein bisschen so anhört, als würde der linke Fraktionsgeschäftsführer Jörg Bütefür so eine Art Rasi-Protokoll anfertigen. Rasi für: Ratssitzung.

Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, „dass die Linksfraktion künftig derartige Veröffentlichungen unterlässt“, hat die FDP Oberbürgermeister Reinhard Paß angeschrieben und ihn „um Klärung des Sachverhalts einschließlich rechtlich relevanter Bewertung“ gebeten.

Per Screenshot gesichert

Nun sollte man vielleicht sagen, dass die Feindbeobachtung bei der FDP offenbar eine recht junge Disziplin ist, denn die inkriminierten Sitzungs-Zusammenfassungen der Linken, die man im FDP-Büro für eine bessere Beweislage sicherheitshalber per Screenshot gesichert hat, stehen schon seit Januar 2011 auf der Seite, ohne dass sich je irgendwer darüber mokierte.

Im Gegenteil: Wer sich in der politischen Szene herumhört, erfährt auch aus völlig unverdächtiger Richtung, dass die selbstredend knallrot eingefärbten, aber eben auch mit viel Ironie und Witz geschriebenen Protokolle sich auch bei der CDU, bei den Grünen oder bei städtischen Gesellschaften großer Beliebtheit erfreuen.

Sekundengenaue Zeitangabe

Zumal man dort erfährt, was im offiziellen und, sagen wir, oft etwas langatmigem offiziellen Ratsprotokoll nichts zu suchen hat: wer da wen nervt, welches Fußballspiel man durch eine langatmige Debatte bis in die Nacht verpasst hat, und ja, manchmal steht auch die sekundengenaue Zeitangabe drin: Am 29. Mai 2013 um 19.46 Uhr und 47 Sekunden ergriff CDU-Ratsherr Klaus Diekmann, Vorsitzender des Sportausschusses, das Wort für reichlich Verwaltungsschelte, was Bütefür in seinem Protokoll so exakt verewigte, weil der OB es so sekundengenau formuliert hatte. Motto: Es ist spät, Klaus, lass’ gut sein...

„Eine so spaßige Debatte wollten wir der Öffentlichkeit nicht vorenthalten“, sagt der Fraktionsgeschäftsführer der Linken augenzwinkernd – und verteidigt sein Protokoll, aus dessen nichtöffentlichen Teil eigentlich eh nur schlau wird, wer die nichtöffentlichen Unterlagen kennt.

Keine detaillierten Finanzinformationen

Man erfährt also, dass es weitere Ehrengräber gibt, aber nicht für wen. Man erfährt, dass eine Schulleiter-Stelle einstimmig besetzt, dass Allbau-Aktien angekauft, ein Grundstück veräußert, eine Gesellschaft gegründet wurde: Der Basisbeschluss steht drin, aber nie ein Name, keine Firma, keine Grundstücksangabe, keine detaillierte Finanzinformation.

Nichtöffentliche Informationen von hinreichender Ungenauigkeit also. Dürfen die Linken das? Uta von Loewenich, Leiterin des Essener Rechtsamtes, mag sich nicht spontan festlegen: Bei ihr ist das Prüfansinnen der FDP, respektive des Oberbürgermeisters noch nicht angekommen: „Das müsste man sich genauer anschauen.“

Abstimmen im Stehen

Es gibt Juristen, die haben mit der Neigung der Linken zu größtmöglicher Transparenz ihre Schwierigkeiten, sehen zumindest eine schwierige Gratwanderung zwischen schutzbedürftigen Interessen und der Bereitschaft, nicht als Erbsenzähler der Geheimhaltung dastehen zu wollen.

Aber woher sollen auch Journalisten sonst erfahren, dass etwa in der März-Ratssitzung das Sitzfleisch fehlte und die letzten Abstimmungen im Stehen stattfanden? Die FDP hatte uns das nicht verraten.