Essen. Im neuen Stadion an der Hafenstraße lebt der Geist von Helmut Rahn und Ente Lippens. Der Viertligist spielt vielleicht nicht immer glanzvoll – doch die Fans stehen ungebrochen hinter ihrem Rot-Weiss Essen. Ein Erlebnisbericht.

Nirgendwo in Essen ist mehr Lokalpatriotismus als auf der Stehplatztribüne im Stadion Essen. „Hebt die Hände, hisst die Fahne. Eine Stadt – zwei Farben. Rot und Weiß, unser Verein – ja so war es und wird es immer sein.“ Laute Fan-Gesänge, doch ist das heute kein glanzvolles Spiel, präziser gesagt liegt der besungene, begrölte Verein schon nach wenigen Minuten 0:1 zurück. Und dennoch: Da stehen 10.000, die ihre Jungs lieben.

„Alte Heimat. Neue Bude“ wirbt der Verein für sein eben erst eingeweihtes sportliches Wohnzimmer an der Hafenstraße und trifft es damit perfekt. Noch pilgert täglich eine Hand voll rot-weißer Traditionalisten zum Bauzaun und schaut (da fließen auch mal ein paar Tränchen, ehrlich!) wie die letzte der alten Georg-Melches-Stadion-Tribünen fällt. Das ist der Geist, in dem Helmut Rahn unsterblich ist, in dem Siggi Dahms groß wurde und Ente Lippens ein Held. Dabei wird nur 50 Meter weiter der neue Rasen längst bespielt.

Selbstbewusstsein und Identifikation

Was die Jungs in der Kurve davon halten? „Natürlich ist das neue Stadion schön geworden. Aber dies hin und her und dass das Stadion jetzt der Stadt gehört ... das ist alles Quatsch. Wir Fans haben Rot Weiss Essen groß gemacht und mit unseren Dauerkarten das Stadion bezahlt.“ Das ist natürlich nicht ganz richtig. Aber ebenso natürlich nicken beifällig die Fußball-Kumpels von Kevin Budler, der diese Meinung so inbrünstig herausbrüllt – also, zwischen Fahne schwenken und Fangesang.

Abriss der Haupttribüne

So sah die Haupttribüne noch Ende Januar aus ...
So sah die Haupttribüne noch Ende Januar aus ... © Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
picturegallery-290923_1132842.jpg
© Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
picturegallery-290923_1132845.jpg
© Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
picturegallery-290923_1132843.jpg
© Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
... und so Mitte April.
... und so Mitte April. © Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
picturegallery-290923_1132833.jpg
© Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
4500 Sitzplätze bot das Bauwerk von 1957 mit dem ersten freitragenden Dach in einem deutschen Stadion.
4500 Sitzplätze bot das Bauwerk von 1957 mit dem ersten freitragenden Dach in einem deutschen Stadion. © Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
picturegallery-290923_1132850.jpg
© Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
Als erstes werden die Sitzschalen demontiert.
Als erstes werden die Sitzschalen demontiert. © Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
picturegallery-290923_1132861.jpg
© Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
picturegallery-290923_1132851.jpg
© Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
picturegallery-290923_1132848.jpg
© Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
picturegallery-290923_1132854.jpg
© Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
picturegallery-290923_1132855.jpg
© Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
picturegallery-290923_1132847.jpg
© Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
Im Hintergrund wird die vierte Tribüne des neuen Stadions fertiggestellt.
Im Hintergrund wird die vierte Tribüne des neuen Stadions fertiggestellt. © Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
GVE-Projektleiter Markus Kunze.
GVE-Projektleiter Markus Kunze. © Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
Auch die Osttribüne wird nun fallen.
Auch die Osttribüne wird nun fallen. © Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
Alte Schätzchen: eine betagte Registrierkasse ...
Alte Schätzchen: eine betagte Registrierkasse ... © Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
... und der Vereinstresor, mit Jörg Lawrenz von der Initiative zum Erhalt der Tribüne als Denkmal.
... und der Vereinstresor, mit Jörg Lawrenz von der Initiative zum Erhalt der Tribüne als Denkmal. © Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
So lautete der Traum der Georg-Melches-Fans.
So lautete der Traum der Georg-Melches-Fans. © Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
Hier saßen die Stadionsprecher.
Hier saßen die Stadionsprecher. © Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
picturegallery-290923_1132858.jpg
© Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
RWE-Logos im Aufgang zu Gastronomie und Geschäftsstelle  ...
RWE-Logos im Aufgang zu Gastronomie und Geschäftsstelle ... © Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
... sowie ein Fresko von unbekannter Hand.
... sowie ein Fresko von unbekannter Hand. © Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
Plakate aus glanzvoller Vergangenheit.
Plakate aus glanzvoller Vergangenheit. © Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
Auch eine kleine Sauna mit Tauchbecken beherbergte der Kabinentrakt im Erdgeschoß.
Auch eine kleine Sauna mit Tauchbecken beherbergte der Kabinentrakt im Erdgeschoß. © Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
Tschüss GMS! Glückauf Rot-Weiss!
Tschüss GMS! Glückauf Rot-Weiss! © Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
1/28

Nun, wir reden von der vierten Liga. Da ist nicht viel Glanz und noch weniger Geld, um elf glorreiche Siegertypen zusammen zu casten. Was aber die Identifikation mit dem Verein, das Selbstbewusstsein angeht, haben Essens Fans breite Schultern und ein Potenzial, das leicht an das manches Erst- und Zweitligisten heranreicht. Hier schimpft man auch an lausigen Tagen eher beiläufig auf die eigene Mannschaft und stimmt dafür umso lauter unverdrossen Schmäh- und Spott-Chöre auf den Gegner an – und hört dabei niemals auf zu hoffen.

Neues Wohnzimmer mit Küche

Was auf den billigen Plätzen vielleicht sichtbarer ist als auf der V.I.P.-Tribüne, wo Ringelschals und -mützen und all der andere Fan-Flitter aus dem Devotionalien-Shop spärlicher gesät sind. Manch ein „Ultra“ mag monieren, der sitzende Fan freue sich mehr innerlich, denn der stehende – im Herzen aber schwingt auf beiden Seiten des Rasens inbrünstig eine übergroße Portion rot-weißer Sympathie.

Wenngleich der V.I.P.-Fan im neuen Wohnzimmer die „Küche“ in Reichweite hat. Catering gibt’s bis lange nach dem Abpfiff, das Bier kommt kalt auf den Tisch und bei Regen, Schnee, Kälte, ach, wer will sich da schon auf den, wenn auch gepolsterten, Außensitzen verkühlen. Rot Weiss Essen, das ist nicht nur „Rundes ins Eckige“ und sportives Lebensgefühl, sondern längst auch ein Geschäft, mit dem Geschäfte gemacht werden.

Firmen mieten Logen, wieder andere immerhin einen Tisch im V.I.P.-Bereich der Haupttribüne. Das Gefühl RWE beflügelt, da kann es kaum falsch sein, das mit Kunden und Firmenpartnern zu teilen. Nicht jeder, der da eingeladen wird, mag ein Fan sein noch werden. Aber schon am Eingang, wo Bilder die Helden von einst in schwarz-weiß zeigen, nachcoloriert mit roten - wie könnte es anders sein - Akzenten, schon in diesem Eingangsbereich spürt man, hier lebt ein Geist. Und wem die Bude, in der dieser Geist herumspukt, letztlich gehört – auch egal. Wirklich entscheidend, das ist in der vierten Liga nicht anders als in der ersten, „is auf’m Platz“.

Alle Folgen der WAZ-Serie "Essen entdecken - 100 besondere Orte" finden Sie auf unserer Spezialseite zur Serie.