Essen. . Die drei schweren Straßenbahn-Unfälle des vergangenen Jahres, die der Evag eine „schwarze Serie“ beschert hatten, haben ein juristisches Nachspiel. Die Staatsanwaltschaft Essen hat gegen zwei Männer und eine Frau, die jeweils die auffahrende Tram steuerten, Anklage erhoben. Der Vorwurf lautet auf fahrlässige Körperverletzung.
War es letztlich menschliches Versagen, das drei schwere Straßenbahnunfälle in Essen im vergangenen Jahr verursacht hat? Mit dieser Frage werden sich bald die Gerichte befassen. Die Essener Staatsanwaltschaft hat gegen zwei Männer und eine Frau, die jeweils die auffahrende Tram bei den Zusammenstößen nahe der Haltestellen Hollestraße, Philippusstift und Cronenberg steuerten, Anklage erhoben. Der Tatvorwurf lautet jeweils auf fahrlässige Körperverletzung. Nach allen drei Unfällen hatte die Evag nach Abschluss ihrer internen Untersuchungen technisches Versagen als Ursache ausgeschlossen. Ab dem 13. Mai, 11 Uhr, wird zunächst der Crash nahe der Haltestelle Philippusstift in Borbeck vor dem Amtsgericht verhandelt. Für die anderen beiden Zusammenstöße liegt bislang lediglich die Anklageschrift vor, die Verfahren sind noch nicht terminiert.
Der Fall Hollestraße
Es hatte etwas von einem Katastrophen-Szenario: Drei Straßenbahnen krachten am 12. Juni 2012 in Höhe der Haltestelle Hollestraße in der Innenstadt ineinander. Für die Essener Feuerwehr war es einer der größten Einsätze des gesamten Jahres. Von den mehrgeschossigen Häusern auf der gegenüber liegenden Straßenseite wurde das ganze Ausmaß deutlich. Insgesamt 34 Menschen wurden verletzt. Der damals 26-jährige Fahrer der auffahrenden dritten Bahn ließ sich schon kurz nach dem Vorfall anwaltlich vertreten. Gegenüber den Ermittlern gab er später an, eine ihm unbekannte Person habe an seinem Pullover gezogen und ihn so abgelenkt. Als er sich lösen konnte, sei es zu spät gewesen, um den Unfall noch zu verhindern. Die Staatsanwaltschaft hält das für eine Schutzbehauptung und geht angesichts der Menge von Zeugen und Verletzten von einer umfangreichen Beweisaufnahme vor dem Schöffengericht aus, wenn ein Prozess-Termin gefunden ist. Bei der Evag ist der heute 27-Jährige nicht mehr angestellt. Der Fahrer hatte einen befristeten Vertrag, den das Unternehmen hat auslaufen lassen.
Der Fall Philippusstift
Mit dem Erlass eines Strafbefehls hätte das Verfahren gegen den 35-Jährigen, der die auffahrende Bahn beim Zusammenstoß zweier Trams der Linie 101 auf einem Abstellgleis auf der Stollbergstraße nahe der Haltestelle Philippusstift steuerte, schon beendet sein können. Acht Leichtverletzte waren bei dem Unfall im vergangen September zu beklagen gewesen. Doch der Mann akzeptierte den Strafbefehl nicht und legte Widerspruch ein. Deshalb muss er sich am Montag vor dem Strafrichter verantworten. Bei der Evag ist der 35-Jährige noch im Fahrdienst beschäftigt. Offenbar führt der Mann den Unfall auf eine unglückliche Verkettung mehrerer Umstände zurück. Über seinen Anteil daran muss das Gericht befinden.
Der Fall Cronenberg
Sie hat nach eigenen Angaben noch versucht zu bremsen, aber den Zusammenstoß habe sie nicht mehr verhindern können. So äußerte die 44-Jährige, die die hintere Tram der Linie 101 beim Crash zweier Bahnen an der Haltestelle Cronenberg steuerte, die Anfang Dezember 2012 auf eine 109 prallte. In diesem Fall wurden fünf Menschen leicht verletzt. Noch ist unklar, wann dieses Verfahren terminiert und eröffnet wird, heißt es seitens der Essener Staatsanwaltschaft. Die Frau arbeitet bei der Evag weiter im Fahrdienst.
Das Strafmaß und die Evag
Für fahrlässige Körperverletzung gibt der Gesetzgeber den Gerichten einen Spielraum von einer Geldstrafe bis zu einer dreijährigen Haftstrafe. Dass einer der drei Beschuldigten bei einer Verurteilung ins Gefängnis muss, dürfte aber unwahrscheinlich sein. Was allerdings bei einem Urteilsspruch zusätzlich auf sie zukommen könnte, wären möglicherweise Regress-Forderungen der Evag, wie es das Unternehmen bei vergleichbaren Vorfällen in der Vergangenheit auch schon praktiziert hat. Die Evag hatte im vergangenen Jahr eingeräumt, auf den Schäden aller drei Unfälle - weit über eine halbe Million Euro - zunächst sitzen zu bleiben, weil die Trams wegen zu hoher Prämien nicht für solche Fälle versichert sind. Bei einem Urteilsspruch würde die Evag jeden Unfall und die Beteiligung der Fahrer einer „Einzelfallprüfung“ unterziehen, sagt ein Sprecher. Immerhin: Bei eventuellen Regress-Forderungen spiele auch „die soziale Verträglichkeit“ eine Rolle. In gleichem Maße wie die Schwere des Vergehens.