Essen. . Wirtschaftsthemen dominieren die Nachrichten, im Schulunterricht aber fristen sie eher ein Schattendasein.
„In zehn Jahren werden sich nur noch drei oder vier globale Konzerne den Markt aufteilen“, prophezeit Peter Wallner den Schülerinnen. Der 44-Jährige spricht von Oligopolen, von Mittelfriststrategien, vom Kapital- und Warenverkehr, und irgendwann landet man an diesem Vormittag im Mädchengymnasium Borbeck auch bei General Motors und dem Opel-Werk in Bochum. So nah sind manchmal die großen Wirtschaftsthemen, und doch wieder so weit weg – jedenfalls von vielen Jugendlichen. Ökonomie im Unterricht? Eher Glückssache.
Peter Wallner ist kein Lehrer, sondern Manager, und das Fach, das auf dem Stundenplan steht, heißt nicht Wirtschaft, sondern Englisch. Wallner kommt auf Einladung von Schulleiterin Katy Wenning in den Leistungskurs. Für den sieht der Lehrplan neben Shakespeare auch Globalisierung vor, und da passen die internationalen Erfahrungen eines Wirtschaftslenkers eben hinein. Der Unterrichtsbesuch ist ein gutes Beispiel dafür, wie Wirtschaftswissen heute in der Schule vermittelt wird: allenfalls im Rahmen von Mischfächern oder themenorientertem Unterricht, und oft nur auf besonderes Engagement einzelner Schulen oder Lehrer hin.
Wirtschaft nicht als eigenständiges Fach
Das alles in Zeiten, in denen die Wirtschaft die Nachrichten dominiert, in denen eine Krise die andere jagt, in denen es um Bankenrettungen und Milliardenhilfen für EU-Staaten geht. Mit der komplexen Materie scheint selbst mancher Entscheider in der Politik überfordert. Kein Wunder, dass es Schülern erst recht schwer fällt, sie zu durchdringen, zumal der Regelunterricht dafür wenig Rüstzeug anbietet.
In Nordrhein-Westfalen gibt es Wirtschaft nicht als eigenständiges Fach, das Thema ist – je nach Schulform – Teil der Sozialwissenschaften, Politik, Geschichte, Gesellschaftslehre. Es werde „eingebettet in die bestehende Fächertradition des gesellschaftswissenschaftlichen Aufgabenfeldes und eröffnet Perspektiven für einen modernen fächerverbindenden und problemorientierten Unterricht“, heißt es den Rahmenvorgaben des Schulministeriums. Die Mischung hat den Vorteil, dass Schüler Wirtschaft immer in gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen begreifen. Sie hat aber auch einen Nachteil: Wie stark Wirtschaft etwa im Fach Sozialwissenschaften vorkommt, hängt ab von Interesse und Ausbildung des Lehrers – und die hat mit Wirtschaft meist wenig zu tun.
Feld der ökonomischen Bildung nicht den Konzernen überlassen
Jürgen Häckert, Leiter der Helene-Lange-Realschule, ist insofern ein Exot. Er hat Wirtschaft studiert und war gleich interessiert, als das Land einen Unterrichtsversuch Wirtschaft in der Realschule ankündigte. Im dritten Jahr gibt es an der Helene-Lange-Realschule ebenso wie an vier weiteren Standorten in Essen nun Wirtschaft als eigenständiges Pflichtfach. „Wir hatten die Erfahrung gemacht, dass das Thema in den Mischfächern untergeht.“ Auf der Agenda stehen Themen wie: Geldpolitik in Europa, Einkommen, soziale Sicherung, Existenzgründung.
Ihm sei wichtig, so der Schulleiter, einen „mündigen Bürger, einen verantwortungsbewussten Konsumenten“ ins Leben zu entlassen. Das Feld der ökonomischen Bildung dürfe man nicht den Unternehmen überlassen, die mit bunten Broschüren und Unterrichtsmaterial seit langem in die Lücke vorzustoßen suchen. Auch deshalb lautet Häckerts Bilanz kurz vor Ende des Schulversuchs: Es sei „sehr sinnvoll“, Wirtschaft als eigenständiges Pflichtfach einzuführen. Freilich müsste es dafür eine entsprechende Lehrerausbildung geben.
„Wirtschaft betrifft uns jeden Tag"
Ein Unterrichtsfach Wirtschaft fordert seit langem auch die Industrie- und Handelskammer. „Wirtschaft betrifft uns jeden Tag. Was immer wir tun, es hat wirtschaftliche Auswirkungen“, sagt Hans Michaelsen, Geschäftsführer Aus- und Weiterbildung bei der IHK Essen. Seines Eindrucks nach werde das Thema an Schulen zwar stärker berücksichtigt als noch vor zehn Jahren, ausreichend sei das Angebot aber nicht.
Wie es um das ökonomische Wissen von Jugendlichen bestellt ist, hänge vom Elternhaus ab, meint auch Fabian Grün von den Essener Wirtschaftsjunioren. Die Nachwuchs-Unternehmer und -Manager laden Schüler regelmäßig dazu ein, sich in ihren Kenntnissen zu messen – „Wirtschaftswissen im Wettbewerb“ steht über den 30 Fragen. Wer gut abschneidet, kann sich für Kreis- und Regionalentscheide qualifizieren. Bei vielen Schülern, so Grün, sei das Bewusstsein für wirtschaftliche Zusammenhänge derzeit noch deutlich ausbaufähig.
Uni Duisburg-Essen forscht zumThema
Auch die Wissenschaft beschäftigt sich mit der Frage, wie Wirtschaft vermittelt werden kann. An der Universität Duisburg-Essen gibt es den Lehrstuhl für Wirtschaftswissenschaften und Didaktik der Wirtschaftslehre (Wida).
Die Mitarbeiter haben Weiterbildung ebenso wie im Blick wie Wirtschaft in der Schule und beschäftigen sich auch mit der Lehrerausbildung.
Ökonomische Bildung sei heute ein „unverzichtbarer Teil der modernen Allgemeinbildung“. Schon die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen sei zunehmend ökonomisch durchdrungen. „Die Bewältigung gegenwärtiger und zukünftiger Lebenssituationen setzt daher mehr denn je ein Mindestmaß an ökonomischen Kompetenzen voraus.“