Essen. . Die Stadt Essen nimmt an der Bundesinitiative “Netzwerk Frühe Hilfen und Familienhebammen“ Teil. Diese Teilnahme bedeutet für die Stadt eine erste Unterstützung in der Höhe von 712.000 Euro. Das Projekt ist auf die Dauer von vier Jahren angelegt. Derzeit fehlt es noch an Personal.

Schnelle Entscheidungen für das Wohl des Kindes sind täglich Brot derer im Jugendamt – sei es, Jahr um Jahr mehr als 1000 Hinweisen auf eine mögliche Gefährdung durch Vernachlässigung, Misshandlung oder Missbrauch nachzugehen; sei es, um Kinder in Not möglichst passgenau in Pflegefamilien unter- oder Verfahren zum Entzug eines Sorgerechts in Gang zu bringen.

Schnelles Handeln war aber ebenso gefordert, um zum Wohl der Jüngsten in den seltenen Genuss einer ansehnlichen Geldsumme zu kommen, die dem großen Feld der frühen Hilfen für den Nachwuchs Einiges angedeihen lassen könnte: Der Druck des Handelns für eine fristgerechte Teilnahme der Stadt Essen an der Bundesinitiative „Netzwerk Frühe Hilfen und Familienhebammen“ war dabei so groß, dass der Verwaltung keine Zeit blieb, die politischen Gremien zu informieren.

Meldungen über die akuten Kindeswohlgefährdungen nicht ab

Die werden nun zu ihrer Überraschung erfahren, dass Essen Teil des vierjährigen Projektes sein soll, für das in einer ersten Tranche 712.000 Euro zur Verfügung gestellt werden. „Im Anschluss daran wird ein ausschließlich aus Bundesmitteln finanzierter Fonds die psychosoziale Unterstützung von Familien in den Kommunen dauerhaft sichern“, heißt es in einem Papier der Jugendverwaltung, die – wenn alles klappt – eine große Sorge los sein dürfte: so anerkannte Projekte wie „Sicherer Start“, bei dem Hebammen jungen Müttern jedwede Unterstützung bieten, jedes Jahr aufs Neue von Finanzierung zu Finanzierung retten zu müssen.

Sie haben den Babybesuchsdienst ans Laufen gebracht, Schreiambulanzen, Familiencoaches und -zentren ermöglicht sowie Elternbildung in die Stadtteile getragen. Dennoch: Trotz aller Bemühungen reißen die Meldungen über die akuten Kindeswohlgefährdungen nicht ab.

Händeringend Pflegeeltern gesucht

Gefühlt wird’s eher schlimmer: 615 Hinweise gingen allein in den ersten sechs Monaten des vergangenen Jahres bei der sozialen Feuerwehr des Jugendamtes ein, die nach all den Einsätzen eine ernüchternde Bilanz zieht: „In 85 Prozent der Fälle ist ein weitergehender Handlungsbedarf gegeben, was Kapazitäten bindet und Folgekosten auslöst.

Die abschließenden Zahlen für das komplette Jahr liegen noch nicht vor, doch auch sie werden an einem besonders erschreckenden Befund kaum etwas ändern: In einem Viertel der Fälle sind die betroffenen Kinder jünger als drei Jahre. Nach der schnellen Gefahrenabwehr sollten viele von ihnen möglichst in Familien und nicht in Heimen untergebracht werden. Doch die Plätze sind knapp, die Stadt sucht händeringend nach Pflegeeltern, während die Kosten für die stationäre Unterbringung steigen. Längst gibt die Stadt mehr als jeden zweiten Euro aus ihrem 190 Millionen Euro schweren Budget der Kinder- und Jugendhilfe für die „sonstigen Leistungen zur Förderung junger Menschen und Familien“.

Stufenhafter Ausbau

Um sparen zu können, täte mehr Vorbeugung not. Die kostet weniger Geld, aber mehr Geduld: Geht man davon aus, dass nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bis zu 15 Prozent aller Neugeborenen im ersten Lebensjahr von Misshandlung und Vernachlässigung bedroht sind, müssten allein in Essen rund 500 Kinder und deren Mütter durch Familienhebammen umsorgt werden. Das übersteigt alle derzeitigen Möglichkeiten, selbst die denkbaren: Im vergangenen Jahr wurden gerade einmal 2,4 Prozent aller in Essen geborenen Kinder durch die zuständige Vermittlungsstelle betreut.

Schon weil es geeignetes Personal nicht wie Sand am Meer gibt, schwebt Jugendamtsleiterin Christina Bäuerle ein stufenhafter Ausbau dieser Fürsorge vor. Nach einer Qualifizierung der Familienhebammen sollen zunächst acht Prozent aller Kinder vorzugsweise in den identifizierten benachteiligten Stadtteilen betreut werden. Erst danach sei zu prüfen, ob sich das Angebot auf bis zu 15 Prozent des Nachwuchses im gesamten Stadtgebiet ausweiten lässt. Geld wäre ja da, wenn’s klappt mit der Bundesinitiative.