Essen. Blick zurück nach vorn: „Immer ein Bad im Bau“, hieß die Devise zu Beginn der 1960er Jahre, eine politische Verheißung, die den Bürgern chlorreiche Zeiten versprach. Heute sitzt die Stadt vielerorts auf dem Trockenen.
Düster und dreckig war gestern. Das moderne Essen, es sollte hell und sauber sein, von Grün durchzogen und nett anzusehen, auch und gerade im industriell so gebeutelten Norden. Noch hatte man sich nicht allen Ruß aus dem Gesicht gewischt, der Bergbau ernährte schließlich noch seinen Mann, doch unverkennbar wollte man sich Anfang der 1960er Jahre für den Aufbruch in die Moderne die Vergangenheit vom geschundenen Leib schrubben wie eine lästig juckende Schmutzkruste.
Dass Essen eine wasserreiche Stadt war, half dabei wenig: Mit dem Rhein-Herne-Kanal im Norden und der fast 22 Kilometer entlang schlängelnden Ruhr im Süden war zwar an Wasser kein Mangel, „die wirtschaftliche Nutzung dieser Wasserläufe setzt jedoch dem ehemals so beliebten Flussbaden Grenzen“, hieß es in dem Buch „Essen – Soziale Großstadt von morgen“, das in gewisser Weise den Weg in die Zukunft wies. Es war dies wohl der Ausgangspunkt für einen Slogan, der die Stadtgeschichte geprägt hat wie kein zweiter – weil er Lebens-Verheißung und politisches Versprechen zugleich war: „Immer ein Bad im Bau“.
Mehr Kultur, mehr Grün
Es war die Zusage, dass nach Arbeit und Brot und einem Dach über dem Kopf nunmehr eine neue Ära eingeläutet war, in der man nach einem mehr an Lebensqualität trachtete.
Auch interessant
Mehr Kultur – worüber noch zu reden sein wird, mehr Grün – durch die West-Erweiterung des Grugaparks um immerhin 39 Hektar (mit Blick auf die Bundesgartenschau 1965), und mehr Wasserspiele: „Ziel ist es, jedem übersehbaren Stadtteil ein eigenes Bad zu geben“, so ließ sich Oberstadtdirektor Friedrich Wolff zitieren. „Eine Anzahl neuer Bezirkshallenbäder in den dicht besiedelten Stadtaußenbezirken“ sollte entstehen, alle einem Prototyp nachempfunden, der in Steele genauso funktionierte wie in Borbeck: mit einem 12,5 mal 25 Meter großen Schwimmbecken, das an der tiefsten Stelle 3,50 Meter maß, platzsparend angeordnet die Nebenräume, Umkleiden und Duschen, und untergebracht das Ganze in einem zweistöckigen rechteckigen „geländesparenden“ Hallenbau.
Aushängeschild der Stadt
Kurzum: die Sorte Schuhkarton, mit der die nachwachsende Plansch-Generation offenbar immer weniger anfangen kann, weil ja abseits vom Schul- und Vereinsschwimmen, dies das letzte zu sein scheint, was die Menschen in einem Schwimmbad suchen: Platz zum Schwimmen.
Immerhin, es gab ja auch die andere Seite: großzügig bemessene Freibäder wie in Dellwig oder in Altenessen an der Kuhlhoffstraße und als Krönung das Grugabad: ein Freibad für 8000 Badegäste, das in seiner Großzügigkeit 1964 nicht weniger als das Aushängeschild der Stadt war: großes Schwimmerbecken, Nichtschwimmerbecken, Springerbecken, Tribüne, weitläufige Nebenanlagen und eine riesige Liegewiese von 25.000 Quadratmetern – das war mehr als ein Bad, zumal in Kombination mit den zahllosen Sportanlagen in unmittelbarer Nachbarschaft, das war das gekachelte Manifest einer sozialdemokratischen Stadtregierung, die ihren Bürgern chlorreiche Zeiten versprach.
Begeisterung ist Ernüchterung gewichen
Und auch hier holt uns 50 Jahre später die Geschichte wieder ein: Wenn nicht gerade ein Supersommer ins Haus steht, rotieren die Energiekosten-Zähler im Vorzeigebad der Stadt um ein Vielfaches schneller, als die Drehkreuze am Eingang.
Pausenschichten tun das Ihre dazu, dass die Begeisterung über die einst so wegweisende moderne Architektur der Erkenntnis weicht, man könne mit einem verkleinerten Grugabad womöglich viel Geld sparen. Überhaupt ist die Begeisterung von einst über Wasserspiele aller Art einer spürbaren Ernüchterung gewichen. Nur als es „Hesse“ an den Stöpsel gehen sollte, da war die alte Kampfeslust wieder da – und nicht nur bei der CDU die Einsicht, dass man in trockengelegten Schwimmbecken politisch baden gehen kann.
Marodes Essener Hauptbad