So sollte Essen die "soziale Groß-Stadt von morgen" werden
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Essen. Vor 50 Jahren entwarfen Politik und Stadtverwaltung ihr kühnes Bild von der künftigen Gestalt der Stadt Essen und machten daraus ein Buch: „Essen – Soziale Groß-Stadt von morgen“. Im Rückblick schauen wir in der neuen NRZ-Serie „Als Essen seine Zukunft baute“ auf seine Seiten – gute und schlechte.
Sie hatten die Trümmer des Krieges beiseite geräumt – 12,6 Millionen Kubikmeter Schutt immerhin, und weitere drei Millionen sollten noch folgen. Weg damit. Aus den Augen, aber noch nicht aus dem Sinn, wie auch?
Denn überall im Stadtgebiet klafften Brachgelände – wie offene Wunden im Körper einer Stadt, die sich fest vorgenommen hatte, aus ihren Ruinen wieder aufzuerstehen. Viel Zeit hatte man sich in den ersten Nachkriegsjahren dafür nicht gelassen, es musste eilig Ersatz für den zerbombten Wohnraum her, und so stampfte man bis Mitte 1961 nicht weniger als 110.000 Wohnungen aus dem Essener Boden. Das war die Pflicht, nun kam die Kür.
Denn zu Beginn der 1960er Jahre wehte auch in Essen ein Hauch von „Swinging Sixties“ durch die Stadt: dieser unbändige Wunsch nach all dem Zwang zur Zweckmäßigkeit beim Wiederaufbau endlich auch mal etwas Schönes zu erschaffen, die Stadt für die Moderne vorzubereiten.
Die Ausgangslage – so makaber das klingen mag – schien ideal: Durch die vielen Kriegsschäden war Platz für eine städtebauliche Neuordnung geschaffen worden, um die Sünden der Vergangenheit zu korrigieren und Essen auf großstädtische Herausforderungen vorzubereiten.
Dass manch einer dabei großstädtisches mit großspurigem Gehabe verwechselte, war da noch nicht zu erkennen, zumal die Zeichen auch bei der Bevölkerung auf Wachstum standen: 735.000 Einwohner lebten auf den 18.856 Hektar Fläche innerhalb der Essener Stadtgrenze. Wer diese Zahl mit heute vergleicht, muss noch die 1970 dazugestoßenen Einwohner aus Burgaltendorf und das 1975 eingemeindete Kettwig hinzuzählen. Es galt also, eine Stadt für 750.000 Menschen und mehr zu gestalten (in der heute gerade noch 570.000 leben).
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Und so schmiedeten Politik und Stadtverwaltung einen Plan, der 1962, also vor einem halben Jahrhundert, als Buch erschien: „Essen – Soziale Groß-Stadt von morgen“ lautete der Titel, der jenes gigantisches Investitions-Programm von zwei Milliarden D-Mark beschrieb, das die Gestalt der Stadt nachdrücklich verändern sollte: Ein „kühner“ Plan der Verwaltung, wie sie sich selbst rühmte, 1960 „mutig entschieden“ vom Rat der Stadt.
Eine ellenlange Liste von Projekten und mehr als das: der Versuch nämlich, der Stadt Essen ein neues Gesicht und ihren Bewohnern ein neues Selbstbewusstsein und Wir-Gefühl zu geben. Denn wie schrieb Oberbürgermeister Wilhelm Nieswandt (SPD) damals in seinem Vorwort? „Erst formt der Mensch die Stadt, und dann formt die Stadt den Menschen.“
„Stadtbild von starker Wirkung“
Schon die bloßen Zahlen beeindruckten: 81 Schul- und Turnplätze sowie 75 Sport- und Gymnastikhallen sollten entstehen, 900 Kleingärten und ein Hallenbad in jedem größeren Stadtteil, neue Wohngebiete, eine neue Oper nach Plänen des finnischen Architekten Alvar Aalto und ein Anbau fürs Museumszentrum, dazu Schulen und Verkehrs-Schneisen, eine Erweiterung des Grugaparks, ein großes Jugendzentrum und ein neues Rathaus, das auf jeden Fall: Eines, für das man 30 Millionen D-Mark reservierte und von dem sich die Verantwortlichen – „wenn man das architektonische Gelingen voraussetzt“ – ein „Stadtbild von starker Wirkung“ versprachen.
Dass dafür am Ende das alte Rathaus einem schmucklosen Wertheim-Kaufhaus weichen musste, stand nicht mal im Kleingedruckten. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass Essen 15 Jahre lang gar kein richtiges Rathaus besaß.
Denn wiewohl man in Politik und Verwaltung, so scheint’s, bemüht war, im modernen Essen mit baulicher Hilfe Lebens-Lust zu wecken – unter den damals eingestielten Projekten befinden sich nicht wenige, die sich ein paar Jahrzehnte später als Lebens-Last für die nachkommenden Generationen entpuppen: eine Infrastruktur, die in nahezu allen Lebensfeldern für 750.000 Einwohner ausgelegt war und nun von 570.000 Essenern finanziert werden muss.
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Aber wie sagte OB Nieswandt in seinem Vorwort so richtig: „Das, was ,von oben’ geplant werden kann, ist (...) immer nur ein Rahmen.“ So wie das Buch, das den Aufbruch der Stadt in die Moderne dokumentiert und einen über das forsche Vorgehen staunen lässt.
Obwohl hinten, im letzten Kapitel, wo’s um die Finanzen geht, der damalige Oberstadtdirektor Friedrich Wolff in weiser Voraussicht Bert Brecht zitiert: „Ja, mach’ nur einen Plan, sei nur ein großes Licht, und mach’ dann noch ‘nen zweiten Plan, geh’n tun sie beide nicht“.
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