Essen. . Einige wenige Obdachlose trotzen den Temperaturen und machen auch im Winter weiter Platte. Die Linke will für sie die U-Bahnhöfe öffnen. Die Hilfsorganisationen halten von einem solchen Ansinnen wenig, sie appellieren an die Aufmerksamkeit der Bürger.
Wenn Väterchen Frost sich mit der klirrenden Kälte und der mangelnden Einsicht in der Mitte des Winters trifft, wird das Leben für rund ein Dutzend Menschen in dieser Stadt lebensgefährlich: Wer Tag und Nacht auf Essens Straßen zu Hause ist, seinen Helfern trotz der herrschenden Minus-Temperaturen die kalte Schulter zeigt, um schließlich eine geschlossene Schneedecke unter freiem Himmel einem warmen Bett in einer Notübernachtungsstelle vorzuziehen, wird vielleicht niemals mehr wach.
Sie wissen um das Risiko, dennoch gibt es sie jeden Winter wieder: Ein paar hartgesottene Obdachlose, die sich hinter Stromtrafos, unter Brücken, auf Baustellen und in die Ruine der alten Volkshochschule an der Hollestraße zurückziehen, um weiter ungestört Platte machen zu können – sei es, weil sie ihren Hund nicht mit in die Notübernachtungsstelle an der Lichtstraße mitnehmen können, sei es die Angst, dort ihres wenigen Hab und Guts beraubt zu werden, oder einfach die mangelnde Fähigkeit, menschliche Wärme spüren zu wollen.
Glücklicherweise ging es viele Winter lang glatt. Die Kälte hat ihr bislang letztes Opfer im Dezember 2002 gefordert. Ein Obdachloser, der in einem Gebüsch an der Gladbecker Straße entdeckt wurde, hatte so starke Unterkühlungen erlitten, dass er wenig später im Krankenhaus starb.
40 Menschen suchten Unterschlupf
Damit sich solch traurige Schicksale auch in diesem Winter möglichst nicht wiederholen, appellieren die Hilfsorganisationen in diesen Tagen an die Aufmerksamkeit der Bürger. „Wir gehen gerne den Hinweisen auf möglicherweise unversorgte Menschen nach“, sagt Petra Fuhrmann von der Wohnungslosenberatung im Sozialzentrum an der Maxstraße in der Innenstadt.
Dort wird es mit sinkenden Temperaturen zunehmend voller. Wer mittellos ist, versorgt sich in der Suppenküche mit einem warmen Essen und in der noch gut gefüllten Kleiderkammer mit Winterfestem. Auch in der Notübernachtung an der Lichtstraße hat sich der Frost bereits bemerkbar gemacht: 40 Menschen suchen Nacht für Nacht Schutz in dem Haus in der Innenstadt. Insgesamt 58 Plätze stehen dort zur Verfügung. Freie Betten gibt’s also genug, sagt Fuhrmann. Zuletzt war die Einrichtung im Winter vor drei Jahren ausgebucht. Auch deshalb sei es in Essen schon seit langem kein Thema mehr, die U-Bahnhöfe nachts zu öffnen, um Menschen Schutz vor der Kälte zu bieten.
Kurzfristig Möglichkeiten finden
Die Linken allerdings wollen das ändern. In einem aktuellen Brief bittet Ratsfrau Gabriele Giesecke Sozialdezernent Peter Renzel, gemeinsam mit der Evag „kurzfristig Möglichkeiten“ zu finden: „Sollte die Öffnung von U-Bahnhöfen nicht möglich sein“, schreibt Giesecke: „Gibt es städtische Räumlichkeiten, die den Betroffenen zum Schutz vor der Kälte geöffnet werden können?“
Die Hilfsorganisationen hielten von einem solchen Ansinnen wenig. Es sei vielleicht gut gemeint, doch ein Übernachtungsangebot wie an der Lichtstraße diene eben auch dazu, Kontakt zu den Wohnungslosen zu bekommen, die zunehmend unter psychischen Erkrankungen leiden, wie Petra Fuhrmann sagt. Und es werden wieder mehr: Binnen eines Jahres stieg die Zahl der Betroffenen von 1327 in 2011 auf 1463 im vergangenen Jahr. 361 (300) davon sind Frauen.
Neuer Schnee in NRW