Essen. Für Essens Sozialverbände ist es seit wenigen Jahren ein „deutlicher Trend“, der sich in den vergangenen Monaten „erschreckend fortgesetzt“ hat auf der Straße: Die „Generation Elend“ wächst zusehends heran. Es gibt immer mehr Wohnungslose, die immer jünger sind.

Die Wohnungslosen in der Stadt werden nicht nur zahlreicher, sondern auch jünger. Fast jeder zweite ohne ein festes Dach über dem Kopf ist inzwischen nicht älter als 27 Jahre, während die Zahl der Betroffenen insgesamt so hoch ist wie seit acht Jahren nicht mehr.

1327 Wohnungslose wurden im vergangenen Jahr im Sozialzentrum an der Maxstraße beraten und betreut. Das sind über fünf Prozent mehr als 2010, geht aus einem aktuellen Bericht der Essener Verbände hervor. Bei den Frauen sieht die Entwicklung besonders alarmierend aus: Ihre Zahl stieg um über elf Prozent, das ist der höchste Wert seit 1997. Zum Teil sind sie „sehr jung“, häufig psychisch krank und ständig in Gefahr, in die Prostitution oder die Drogenszene abzugleiten.

Zunehmend finden sich unter den weiblichen Wohnungslosen Mädchen mit Migrationshintergrund, die „aus Angst vor Repressalien durch ihre Familien bei Dritten Unterschlupf gefunden haben“, sagt Volker Schöler von der Gefährdetenhilfe des Diakoniewerks Essen: „Etwa dann, wenn sie sich einer Zwangsehe entziehen wollen.“

Unsanft auf der Straße gelandet

Seit nunmehr zwei Jahren feilen die hiesigen Sozialexperten an einem Konzept der Hilfen für diese nachwachsende Gruppe von Wohnungslosen, die zu alt für die Jugendhilfe und zu jung fürs Sozialamt sind – mit der Folge, dass sie durch die Maschen der Zuständigkeiten rutschen und unsanft auf der Straße landen.

Um diesen Jugendlichen und Heranwachsenden, die nach Jahren des Drogenkonsums häufig hilflos und sozial auffällig bis hin zur Kriminalität agieren, möglichst schnell und wirksam helfen können, braucht es eine neue Herangehensweise der Behörden: Das Konzept, das der Politik vor wenigen Tagen zur Kenntnis gereicht wurde, sieht bei Hilfebedürftigkeit vor, eine „akute Versorgung, Unterstützung und Betreuung sofort sicherzustellen“, sagt Schöler. Die oftmals langwierigen Fragen der Zuständigkeit der Behörden, die diese Jugendlichen in ihrer Lebenswelt eher für natürliche Feinde halten, vor denen man sich besser in Sicherheit bringt, laufen im Hintergrund.

Denn die Betroffenen fühlen sich schnell überfordert, eine Verweigerungshaltung macht sich breit, die oft existenzgefährdende Folgen hat: Spielen sie nicht mit und erscheinen nicht zu den gesetzlich vorgeschriebenen Förder- und Beratungsangeboten des Jobcenters, werden ihre Bezüge bis auf Null gekürzt. Ein Abgleiten in die Wohnungslosigkeit ist die zwangsläufige Folge. Ein Teufelskreis, der die deutlich gestiegenen Zahlen erklärt.

Keine Notbetten

In den Beratungsstellen haben es die Helfer zunehmend mit einer Klientel mit zum Teil massiven psychischen Erkrankungen zu tun, für die es trotz eines entspannten Wohnungsmarkts schwer bis unmöglich ist, eigenverantwortlich zu wohnen. Im vergangenen Jahr fanden 175 Menschen einen Weg in die eigenen vier Wände.

In den Schlafstellen der Licht- und der Hoffnungsstraße übernachteten übers Jahr hingegen 619 Wohnungslose, die nirgendwo sonst unterkamen. Die Notschlafstelle mit 58 Betten war in einer Nacht im Mai mit 44 Menschen belegt. Durchschnittlich waren es 27.

Notbetten, so hofft man, müssen wohl auch im kommenden Winter keine aufgestellt werden.