Essen. . Heinz-Peter Heidrich sitzt der „Bank im Bistum Essen“ vor, einer Genossenschaft. Ein typischer Banker ist der Vorstandschef nicht.

Heinz-Peter Heidrich ist Banker, jedoch kein typischer – genau so wie seine Bank kein typisches Kreditinstitut ist. Der 59-Jährige hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften

Heinz-Peter Heidrich
Heinz-Peter Heidrich © WAZ FotoPool

studiert, aber nie eine Bankausbildung gemacht. Und sitzt trotzdem seit gut vielen Jahren im Vorstand der „Bank im Bistum Essen“ (Bib), die 1966 von Ruhrbischof Franz Hengsbach als Genossenschaftsbank ins Leben gerufen wurde. Heute zählt sie – obwohl sie gerade mal 112 Mitarbeiter und 15.000 Kunden hat – zu den 20 größten Genossenschaftsbanken in Deutschland. „Das liegt an un­serem Geschäftsvolumen von rund 4,4 Milliarden Euro – im Vergleich zu anderen Banken ist das sehr viel. Trotzdem sehen wir uns eher als eine kleine Bank“ , sagt Heidrich bescheiden.

3000 Eigentümer zählt die Bib, Genossen, die irgendwie mit der Kirche zu tun haben. Das „Internationale Jahr der Genossenschaften 2012“ der Vereinten Nationen widmet sich ihnen und ihren Unternehmen auf der ganzen Welt – Genossenschaften wie die Bank im Bistum Essen.

„Unser typischer Genosse ist Küster einer Kirchengemeinde, Krankenschwester oder Arzt im katholischen Krankenhaus, Priester oder Verwaltungsangestellter bei der Kirche“, sagt Vorstandschef Heinz-Peter Heidrich. Und dann gibt’s noch ein paar „große Fische“ unter den Genossen: Diözesen und Pfarrgemeinden in ganz Deutschland sowie im Ausland, vor allem in Lateinamerika. Heidrich sitzt im Kirchensteuerrat, ist Honorargeneral der Republik der Philippinen und hat noch weitere Ehrenämter: „Auch das zeichnet unsere Bank und zahlreiche Genossenschaften aus. Unsere Mitarbeiter und Genossen engagieren sich in der Gesellschaft.“ Einziges Manko: Vor seinem aktuellen Job bei der Bib war Heidrich bei der Deutschen Bank, „weil ich auf die Schnelle nichts anderes gefunden habe“, scherzt er.

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Mehr zu sagen als jeder andere Genosse haben sie aber nicht. Heidrich: „Denn im Gegensatz zu allen anderen wirtschaftlichen Konstruktionen ist die Genossenschaft ein demokratisches Unternehmen“, betont Heidrich und skizziert den Un­terschied beim Mitspracherecht ge­genüber Kapitalgesellschaften: „Wer zum Beispiel zehn Aktien der National-Bank AG besitzt, hat dort zehn Stimmen. Bei uns hat jeder Genosse nur eine Stimme.“ Was viele Genossenschaften auszeichne, sei, dass sie neben dem wirtschaftlichen einen sozial-ökologischen Auftrag haben.

Auch Nichtgläubige als Kunden

„Wir verzichten auf Kapitalmarkt-Spekulationen, engagieren uns stark in Sozialprojekten, beschäftigen uns mit Armutsbekämpfung in Entwicklungsländern und finanzieren Projekte der erneuerbaren Energien“, so Heidrich. Die Bib finanziert keine Atomkraftwerke oder Kliniken, die Abtreibungen durchführen, und achtet bei der Kreditvergabe etwa im Altenpflegebereich darauf, dass den Bewohnern Qualität geboten wird.

Die Bewahrung der Schöpfung sei in der Strategie der Bank fest verankert. Für Heidrich und die Gesellschafter der Bib, die 3000 Genossen, sei vor allem der „wertebasierte Umgang bei Finanzgeschäften“ besonders wichtig. Anders als vor 30 Jahren kann heute sogar Kunde werden, wer nicht für die Kirche arbeitet, ebenso Nicht- und Andersgläubige. Bei der Bank im Bistum ist mittlerweile für viele Platz.

Die Genossen sagen, wo’s langgeht

22 Genossenschaften sind in Essen heimisch, betreiben Banken, Bauvereine, eine Taxizentrale und sogar Kraftwerke. Die NRZ stellt drei von ihnen vor:

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Günstiger Wohnraum, davon träumten sie einst, die Straßenbahner von Schonnebeck. Es ist 1928, als sie beschließen, ihre Idee in die Tat umzusetzen – mit viel Mühe und Fleiß. Ein Grundstück ist schnell gefunden, in ruhiger Lage an der Straße Kleiner Bruch. Es dauert nicht lange, bis aus dem Boden zwei Mehrfamilienhäuser empor schießen. 24 Straßenbahnern und ihren Familien bieten sie Platz zum Wohnen und Entspannen, dank eines Gemeinschaftsgartens hinter dem Haus.

Ihre Wohnungsgenossenschaft ,Mühe und Fleiß’ Essen-Schonnebeck gibt’s noch heute, mit der Einschränkung, dass in den Häusern nicht mehr ausschließlich Straßenbahner wohnen. Jörg Ohlendorf gehört dem Vorstand an, seine Frau Sabine kümmert sich ums Finanzielle. „Den Vorteil, günstig wohnen zu können, bietet uns die Genossenschaft noch immer. Denn wir zahlen eine reine Kostenmiete – Löhne, Marketing, Verwaltung, alles das fällt bei uns nicht an. Alle arbeiten ehrenamtlich in den Gremien“, sagt Ohlendorf. Wer in den Häusern wohnen will, muss Genosse werden. Streitigkeiten oder Anregungen werden in der alljährlichen Generalversammlung besprochen.

Wer am S-Bahnhof Stadtwald auf den Zug wartet und hinterm Gleisbett den mit Grün bedeckten Gartenbungalow von Rolf Schwermer entdeckt, vermutet kaum, dass im Inneren ein kleiner Energieriese beheimatet ist. So nennen die 135 Mitglieder der Solargenossenschaft Essen (SGE) ih­re Bürgerfirma gern – womöglich, weil sie so prächtig wächst und gedeiht wie das üppige Grün auf dem Laubendach. Mit sieben Anlagen, die meist auf Schulen und städtischen Dächern angebracht sind, ist die SGE am Stromnetz – mit 243 Kilowatt Peak (kWp) Leistung. In der Praxis können hierzulande mit einer 1kWp-Photovoltaik-Anlage (das entspricht acht bis zehn Quadratmetern Fläche) 700 bis 900 Kilowatt-Stunden Strom jährlich erzeugt werden.

Zwei Anlagen haben die Solarlaubenpieper 2012 errichtet und es waren noch mehr geplant. „Wir hatten viel vor, viele neue Partner gewonnen. Dann kam diese unsägliche Änderung im Erneuerba- re-Energi­en-Gesetz“, schimpft Andrea Kamrath, die mit Schwermer den Vorstand bildet. Von diesem Schock habe sich die SGE wieder erholt, durch die Photovoltaik-Gesetzesnovelle im Juni sei einiges zurückgenommen worden. Kamrath: „Mit unseren Mitgliedern werden wir 2013 überlegen, ob es Sinn macht, in weiteren Geschäftsfeldern tätig zu werden – etwa bei Blockheizkraftwerken oder Windenergie.“

„Taxi Essen“ existiert seit 1919 

Eine der sichtbarsten Genossenschaften der Stadt ist „Taxi Essen“. Als sie sich 1919 unter dem Namen „Vereinigte Auto- und Droschkenbesitzer Essen“ gründet, sind sogar noch Pferdekutschen für sie un­terwegs. Die ersten motorisierten Taxis sind schwarz. Als immer mehr Autos den Verkehr prägen, sind sie nachts nur schwer zu sehen, man wechselt auch hier zum bekannten Elfenbein-Ton.

In den 1960er-Jahren wird die „Taxi-Zentrale-Essen“ gegründet, seit 1998 heißt die Genossenschaft Taxi Essen. Sie soll die mehr als 246 angeschlossenen Unternehmer mit ihren mehr als 365 Fahrzeugen wirtschaftlich fördern und betreuen. Einen eigenen Fuhrpark hat Taxi Essen nicht. Die Genossenschaft gibt Aufträge an selbstständige Taxi-Unternehmer weiter.

Friedrich Wilhelm Raiffeisen – Der „Vater“ der Genossenschaften

Friedrich Wilhelm Raiffeisen wurde 1818 in Hamm/Sieg geboren. Raiffeisen ging zum Militär und wurde 1845, nach kurzer Lehre, kommissarischer Bürgermeister der Amtsbürgermeisterei Weyerbusch im Westerwald. Veranlasst durch die Not der Landbevölkerung im 19. Jahrhundert gründete er im Hungerwinter 1846/47 den „Verein für Selbstbeschaffung von Brod und Früchten”.

Im selbst gebauten Backhaus wurde Brot gebacken, das auf Vorschuss an Bedürftige verteilt wurde. Der „Brod-Verein” und der „Heddesdorfer Wohltätigkeitsverein“ von 1864 waren die ersten vorgenossenschaftlichen Verbünde und der Beginn der weltweit erfolgreichen genossenschaftlichen Bewegung.

Mit seiner Initiative verwirklichte Friedrich W. Raiffeisen erstmals in moderner Form die Idee der Selbsthilfe von Menschen in einer festen Gemeinschaft: Der bis heute überlieferte Genossenschaftsgedanke war geboren.