Essen. . Die Deutsche Unesco-Kommission hat den Verein „Mobilität-Werk-Stadt“ als Projekt der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ausgezeichnet. Die sprach mit Georg Nesselhauf, dem Vorsitzenden der „Mobilität Werk Stadt“.

Die Deutsche Unesco-Kommission hat den Verein „Mobilität-Werk-Stadt“ als Projekt der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ausgezeichnet. Gleichzeitig beobachtet die Mobilität-Werk-Stadt eine neue Debatte um den Weiterbau der A 52 und A 44 zwischen Gladbeck und Essen. Dabei will der Verein genau hier Alternativen zum Autobahn-Bau aufzeigen und gemeinsam mit Bürgern, Politikern und Verwaltungsexperten neue Mobilitäts-Konzepte entwickeln. Darüber sprach die NRZ mit dem Vereinsvorsitzenden Georg Nesselhauf.

NRZ: Herr Nesselhauf, Glückwunsch zur Auszeichnung, aber irgendwie drängt sich bei der aktuellen Diskussion um den Bundesverkehrswegeplan 2015 doch der Eindruck auf, dass sich seit der Mobilitätswerkstatt vor zwei Jahren nicht sehr viel verändert hat.

Georg Nesselhauf: Diesen Eindruck kann man haben, weil es gerade von den Industrie- und Handelskammern ausgehend eine Gegenbewegung gibt, die weiter den Autobahnausbau fordern. Tatsächlich aber haben wir in den zurückliegenden zwei Jahren viel erreicht.

Zum Beispiel?

Nesselhauf: Zum Beispiel beim Radverkehr. Die Situation für Radfahrer in Essen hat sich deutlich verbessert, die Einbahnstraßen sind geöffnet worden, um ein aktuelles Beispiel zu nennen. Das Radwegenetz ist insgesamt erheblich ausgebaut worden. Obwohl der Termin für das diesjährige Stadtradeln kurz nach den Ferien ungünstig lag, um vielleicht bei den Schulen stärker zu werben, war es ein voller Erfolg, RWE oder die Sparkasse haben die Aktion unterstützt. Wir haben inzwischen mehrere Car-Sharing-Modelle in der Stadt, auch mit E-Autos, wir haben mit Metropolradruhr ein gut funktionierendes Radleihsystem. Dies alles sind gute Alternativen, die auch zeigen, wie umweltschonende Mobilitätsangebote verzahnt werden können. Das lässt sich natürlich alles noch erheblich verbessern.

Und doch steht am Ende der A 52-Ausbau wieder im Bundesverkehrswegeplan und blockiert die Entwicklung von Flächen in Altenessen oder Vogelheim.

Nesselhauf: Natürlich weiß jeder, dass jede Autobahn, die sich 2015 nicht im neuen Bundesverkehrswegeplan wiederfindet, null Chancen auf eine Realisierung hat. Das führt dann dazu, dass wirklich alles angemeldet wird. Dass dies dann auch Folgen für die weitere Stadtentwicklung hat, dass damit Flächen auf viele Jahre hinaus blockiert werden, wird in den Kommunen zu wenig bedacht. Es führt nur zu Stillstand, den wir uns weder ökonomisch noch ökologisch leisten können. Wir stehen zurzeit in vielen Gesprächen, auch auf Landesebene, mit der Politik, mit dem Verkehrsministerium, mit den Verwaltungen. Wir müssen da einfach zu anderen Entscheidungen kommen.

Dabei geht es der Mobilität-Werk-Stadt nicht nur darum, den Autobahnbau zu verhindern.

Nesselhauf: Wir wollen vor allem auch Alternativen aufzeigen, Lösungen, Denkmodelle entwickeln und anbieten. Wir stellen doch fest, dass sich da etwas verändert, dass immer mehr Menschen aufs Rad umsteigen, auch auf den ÖPNV. Aber es ist natürlich ein Unding, dass beispielsweise bis 2018 die A 44 von Ratingen bis Velbert fertiggebaut und damit bis nach Essen geführt wird. Entlang der Trasse entstehen neue Wohnviertel, die dann die Leute aus der Großstadt holen – ohne ihnen ein einziges vernünftiges Nahverkehrssystem von Velbert aus nach Essen anzubieten. Dass sich dann am Ende alle in Essen vor der ersten Ampel im Stau wiederfinden, liegt auf der Hand. Das muss die Politik endlich einsehen. Stattdessen verspricht sie den Autofahrern einen Ruhrallee-Tunnel, der niemals realisiert wird, weil es schlichtweg nicht umsetzbar ist, oder nur zu astronomisch hohen Summen, die keiner finanzieren wird.

Müsste man dann aber nicht mehr Geld für einen leistungsfähigeren ÖPNV bereitstellen?

Nesselhauf: Wir erleben zurzeit leider, dass der ÖPNV regelrecht kaputtgespart wird. Busse und Bahnen fahren an ihren Kapazitätsgrenzen, da ist das Limit erreicht. Wenn die Politik hier nicht endlich handelt, wird sich die Situation noch weiter verschlechtern. Wir brauchen dringend konkrete Verbesserungen der Infrastruktur.

Das Angebot müsste in der Tat besser werden.

Nesselhauf: Die Menschen sind bereit, umzusteigen, wenn es ein vernünftiges Nahverkehrsnetz gibt, mit hohen Taktzahlen, mit Vorrang für Busse und Bahnen, mit neuen Lösungen beispielsweise für den Verkehr auf der Gladbecker. Das alles haben wir vorgeschlagen, und noch vieles mehr. Das braucht natürlich Zeit, bis das in die Politik hinein wirkt. Ich denke, wir können deutlich mehr Menschen überzeugen, umzusteigen auf umweltschonende Arten der Mobilität. Wir sehen immer wieder, dass sich da etwas verändert. In Gelsenkirchen beispielsweise fördert die Stiftung Umwelt eine auf zwei Jahre angelegte Mobilitätskampagne, in Gladbeck wird es auch als Reaktion auf die aktuelle A 52-Diskussion am 9. März eine große Mobilitätswerkstatt geben. Wir verstehen uns als Bürgerbewegung und wollen mehr Menschen gewinnen und einbeziehen. Und ich denke, das wird uns auch gelingen.

Mobilität-Werk-Stadt seit 2010 in Aktion

Die Mobilität-Werk-Stadt (M-W-S) entstand 2010 aus dem bürgerschaftlichen Engagement eines großen, städteübergreifenden Netzwerkes, das erstmals am 15. Januar 2011 und bei weiteren Veranstaltungen in Essen, Bottrop und Gladbeck öffentlich aktiv wurde. Träger der Mobilität- Werk-Stadt ist ein Förderverein.
Netzwerkpartner der M-W-S sind der Runde UmweltTisch Essen (Arbeitsgemeinschaft der in Essen tätigen Umwelt-, Naturschutz- und Verkehrsverbände, kirchlichen und Agenda-21-Gruppen sowie Bürgergruppen und -initiativen), der Umweltbeirat des Evangelischen Kirchenkreises Essen und die Lokale Agenda Gelsenkirchen, daneben das Netzwerk von Bürgerinitiativen aus Gladbeck, Bottrop, Essen, Velbert, Heiligenhaus und Ratingen, die sich gegen den Neubau einer Transit-Autobahn (A 44, A 52) und für ein nachhaltiges Mobilitätskonzept im Ruhrgebiet einsetzen. Mehr auf: www.mobilitaetwerkstadt.wordpress.com.