Essen. Ein 24-Jähriger soll eine Rentnerin vergewaltigt haben. Zum Tathergang schweigt der Angeklagte, er habe aufgrund erheblichen Alkoholkonsums keine Erinnerungen an die Tatzeit. In der Wohnung des Opfers wurde ein Rucksack mit einem Kondom, das die DNA des Angeklagten enthielt, sicher gestellt.
Er schweigt. Sagt zum Prozessauftakt vor der VI. Essener Strafkammer, er habe keine Erinnerung an die Nacht zum 23. Juni. Aber wer will auch schon einem Gericht erzählen, dass er in jener Nacht eine 75-Jährige vergewaltigt hat? Der Angeklagte aus dem Essener Stadtteil Überruhr, 24 Jahre alt, jedenfalls nicht.
Unfassbar, was die Rentnerin erduldete. Todesangst habe sie durchlitten, erzählte sie der Nachbarin, die sie gerettet hat. Gegen 5.30 Uhr war der Täter über den Balkon in die Erdgeschosswohnung der Frau in Überruhr eingedrungen. Sofort stieß er sie zu Boden, zog sie aus, fiel über sie her. Nur weil sie kämpfte, laut um Hilfe schrie, vollendete er nicht, was er geplant hatte.
Die Nachbarn wurden durch Poltern und Schreie aufgeweckt, riefen die Polizei. Durch den Türspion sahen sie in der Wartezeit, wie die 75-Jährige ins Treppenhaus zu kommen versucht. Vergeblich; von innen greift der Arm des Täters nach ihr. „Komm’ wieder rein“, ruft eine männliche, aggressiv klingende Stimme, „und halt’s Maul“.
Der Polizei entkommt der Täter durchs Badezimmerfenster, läuft schneller als die Beamten. Die Distanz zwischen ihnen und dem Mann mit der Deutschlandflagge auf der Schulter wird schnell größer.
DNA am Tatort
Zwei Tage später nimmt die Polizei den 24-Jährigen fest. Er ist ein alter Bekannter. Die Deutschlandflagge hatte er zwar geistesgegenwärtig auf seiner Flucht mitgenommen, dafür aber ein Kondom mit seiner DNA und einen Rucksack zurückgelassen. Wegen Wohnungseinbrüchen, sexuellen Missbrauchs und Nachstellung ist er in der Vergangenheit bereits verurteilt worden. Erst am 6. Dezember vergangenen Jahres kam er letztmals aus dem Gefängnis frei.
Mit Freunden hat er in der Tatnacht in einer Kneipe in Überruhr gesessen. Fußball guckten sie, das EM-Spiel Deutschland gegen Griechenland. Aber irgendwann fehle ihm wegen des Alkohols die Erinnerung, sagt er. Erst am Morgen in der Bahn, als der Schaffner ihn weckte, kehrte sie zurück, behauptet er. Dass es sich um seinen Rucksack handelt, hat er schon bei der Polizei bestätigt. Mehr könne er nicht sagen.
Sein Verteidiger Norbert Fölting scheint das Schweigen zu bedauern, immerhin geht es auch um die Sicherungsverwahrung bei einem jungen Angeklagten. Da sieht ein Geständnis nicht schlecht aus, es dokumentiert zumindest ein wenig Reue und Einsicht. Richterin Jutta Wendrich-Rosch nimmt’s hin und verweist auf die Beweislage: „Die Frage, wer ist der Täter, ist die kleinste Frage, die uns hier beschäftigt.“