Essen. . Ein Fallbeispiel: Ein Mann liegt bewusstlos auf dem Kennedyplatz. Passanten bemerken das zuhauf. Aber: Wann sollen Bürger Hilfe holen? Wann ist der Alarm voreilig? Ein Notarzt und die Feuerwehr geben Antworten auf diese Fragen.

Doris Schäfer* war auf dem Weg nach Hause, als sie einen Mann am Rande des Kennedyplatzes entdeckte: „Er lag bewegungslos auf den Stufen, die Lederjacke daneben, der Kopf hing verdreht“, beschreibt die 73-Jährige aus Holsterhausen. Er war offenbar bewusstlos. Ob er krank ist, müde oder betrunken, dachte Doris Schäfer nur kurz. Sie holte Hilfe beim Rettungsdienst vor Ort, während viele Besucher von „Essen original“ nur etwa zwei Meter entfernt feierten, tanzten und sich amüsierten, erzählt sie erschüttert: „Die haben doch gesehen, dass es ihm nicht gut ging. Interessiert es uns nicht mehr, wenn jemand Hilfe braucht?“

Wann braucht der Mensch Hilfe?

Wann sollen Bürger Hilfe holen und die 112 wählen? Wann binden sie vielleicht Kräfte zu voreilig, die dann womöglich bei anderen Einsätzen fehlen?

Was Doris Schäfer erlebt hat, „ist ein typisches Fallbeispiel“, stellt Dr. Andreas Grundmeier, Notarzt bei den Johannitern, zunächst fest. Es gehöre auch in Essen zum Alltag, dass 100 Leute an einem Menschen vorbeigehen, der am Straßenrand liegt. Zu groß sind vielleicht Unsicherheit oder Hemmschwelle. Andere denken, sie sind schon der fünfte, wenn sie die 112 wählen, sagt Grundmeier. Doch: „Nur wer nichts tut, tut schon etwas Falsches.“ Lieber einmal zu viel anrufen: „Wer die 112 wählt, macht nie etwas falsch“. Zwar sei niemand verpflichtet, einen Hilfsbedürftigen zu entkleiden und zu untersuchen, aber es ist die Pflicht jeden Bürgers: „Nach Möglichkeit und Zumutbarkeit zu helfen“, sagt der Rettungsarzt. „Jemanden anzusprechen, ist immer zumutbar.“ Jeder sei in der Lage, auf einen Notfall aufmerksam zu machen.

Alkoholvergiftung kann tödlich sein

Ein schwerer Notfall ist es immer dann, wenn der Betroffene bewusstlos ist. Aber Menschen, die bei Bewusstsein sind, brauchen mitunter ebenso Hilfe. So kann eine banale Alkoholvergiftung für einen Diabetiker oder Epileptiker schlimme Folgen haben, sagt der Arzt. Die meisten seiner Einsätze endeten zwar nicht mit einer Wiederbelebung, können aber dennoch gefährlich sein. So gehört ein liegender, betrunkener Obdachloser vielleicht bei einigen zum täglichen Bild auf dem Weg zur Arbeit, sagt Feuerwehrsprecher Mike Filzen. Der könne aber zum Beispiel am Erbrochenen ersticken. „Der Laie kann das nicht einschätzen und sollte das Profis überlassen.“

Wer die 112 wählt, landet in der Hauptfeuerwehrwache, Eiserne Hand. Dort nehmen ausgebildete Rettungsassistenten, Leitstellendisponenten oder Feuerwehrleute den Hörer ab, erklärt Filzen. Sie entscheiden über die Einsatzmittel wie Rettungswagen oder Notarzt: „Im Zweifel ist der Notarzt immer dabei.“ Der Anrufer sollte den Ort nennen, den Zustand des Betroffenen beschreiben und auf keinen Fall auflegen, sondern auf Rückfragen warten, sagt Filzen.

Einsatzkräfte sind meist schnell vor Ort

Bis die Rettungskräfte eintreffen, sollte der Anrufer vor Ort warten, um Zeichen geben zu können. Sonst hat der Notarzt zum Beispiel im Hauptbahnhof oder beim Stadtfest auf dem Kennedyplatz kaum eine Chance, den Hilfsbedürftigen zu finden. Filzen: „In 90 Prozent der Fälle sind die Einsatzkräfte in sechs Minuten vor Ort.“

Sechs Minuten hat auch der Einsatz von Doris Schäfer gedauert. Sie musste helfen, „sonst hätte ich keine Ruhe gehabt.“ Als sie ging, da war der Mann wieder ansprechbar. Sie wollte nicht noch glotzen, das hätten schon viele andere gemacht.

Einsätze und Kosten

  • 24 Rettungswagen sind in der Stadt rund um die Uhr im Einsatz. Täglich fahren sie im Durchschnitt 130 Einsätze, an heißen Tagen z.B. auch 250.
  • Feuerwehrsprecher Mike Filzen betont: „Niemand, der die 112 wählt, muss Sorge haben, eine Rechnung zu bekommen.“