Essen. Die Zahl der Streitschlichtungen geht in Essen immer weiter zurück. Dennoch haben die Schiedsmänner bei Fällen von Beleidigung, Sachbeschädigung oder sogar Körperverletzung gut zu tun. Wirklich trauen die Vermittler dem Frieden in Essens Gärten daher nicht.

Die Zahl der Streitschlichtungen geht immer weiter zurück. Nachbarschaftszwist bleibt dabei die Ursache Nummer 1. Steigt das „öffentliche Interesse“ an solchen Fällen?

Der Fernseher war zu laut, vom Grill zog der Rauch in Nachbars Wohnzimmer und Bier gab es auch mehr als genug. „Als der Michael Schumacher noch um die Formel 1-Weltmeisterschaften gefahren ist, da hatten wir anschließend immer gut zu tun“, erinnert sich der Vorsitzende Schiedsmann im Bezirk Essen, Dieter Lange, an die Zeit Anfang des Jahrtausends.

Beleidigung, Sachbeschädigung oder sogar Körperverletzung – bis zu 20 Fälle verhandelte jeder der bis zu 40 Schiedsmänner damals pro Jahr. Doch diese Zeiten sind, genauso wie die großen Schumacher-Erfolge, nun schon länger vorbei. In Essen engagieren sich heute noch 17 Mediatoren und Streitschlichter ehrenamtlich. Sie werden von den Bezirksvertretungen ernannt und für fünf Jahre vereidigt. Kaum ein Schiedsmann kommt in Essen noch auf mehr als zehn Fälle pro Jahre.

Nachbarschaftsstreitereien erst ins Schlichtungsverfahren

Da ist dann mal eine nicht geschnittene Hecke samt Beleidigung, oder auch das Anbringen von Überwachungskameras vor Nachbars Garten oder eine körperliche Auseinandersetzung der Auslöser für wochenlangen Streit, der letztlich mit einer Anzeige endet.

Hier treten Lange und seine Mitstreiter auf den Plan, denn so genannte Nachbarschaftsstreits und Ehrverletzungen gehen meist erst dann vor Gericht, wenn das Schlichtungsverfahren keinen Erfolg gehabt hatte. Ausnahme: Der Fall ist von öffentlichem Interesse.

Ansonsten geht es in des Schlichters Wohnzimmer. „Wir versuchen dort die Parteien zu einer Lösung zu schubsen“, sagt Dieter Lange. Durch Kommunikation und vollkommene Objektivität sollen beide Seiten zu einem Vergleich und der Beilegung ihres Streit bewogen werden. Der Fall wird dann als geschlichtet vermerkt und bedarf keiner gerichtlichen Verhandlung mehr.

Kosten bei Streitschlichtung wesentlich geringer

Gelingt das, werden die Kosten, rund 60 Euro, für das Schiedsverfahren geteilt. Andernfalls müssen die Schiedsmänner eine Erfolglosigkeitsbescheinigung ausstellen, der Fall wandert dann zurück zum Amtsgericht. Dort gehen die Kosten, bedingt durch Anwalts- und Gerichtsgebühren, nicht nur oft bis ins Vierstellige, „der Nachbarschaftsfrieden ist dann auch endgültig im Eimer“, sagt Lange.

Wieso dennoch immer weniger Menschen den Weg zum Schiedsexperten finden, ist Lange ein Rätsel. „Möglicherweise herrscht ja wirklich Streitmüdigkeit unter den Bürgern“, so eine Mutmaßung. Schließlich habe er selbst erlebt, wie friedlich und „einfach wunderbar“ jüngst die EM-Feierlichkeiten in verschiedenen Gärten und Lokalitäten verliefen.

Wirklich trauen tut er dem Frieden in Essens Gärten aber nicht. „Vielleicht nimmt aber auch das öffentliche Interesse in Zeiten von unterbeschäftigen Gerichten immer mehr zu“, ist Langes zweite Erklärung. Auch Anwälte hätten letztlich ein finanzielles Interesse am Verhandlungsverfahren. Einfache Lösungen stören da nur.