Essen. Ticketverkauf statt Schreibtisch-Alltag: Sieben Auszubildende der Essener Verkehrs AG managen drei Wochen lang das Evag-Kundencenter im Bahnhof Berliner Platz. Die Kunden sind zufrieden. Doch für den Fall der Fälle stehen erfahrene Mitarbeiter im Hintergrund bereit. Die Aktion ist mittlerweile fest im Lehrplan verankert.

Normalerweise ist der Schreibtisch der Arbeitsplatz von Milan Preuss. Der 22-Jährige lässt sich bei der Essener Verkehrs AG (Evag) zum Industriekaufmann ausbilden, kümmert sich um den Wareneinkauf oder um Gehaltsabrechnungen. Mit Kunden kommt er dabei nicht in Kontakt – bis jetzt: Seit gestern gehört er zu den sieben Azubis, die drei Wochen lang den Schalter des Kundencenters am Berliner Platz übernehmen.

Plötzlich hat sich Milan Preuss um die alltäglichen Bedürfnisse der Bus- und Bahnfahrer zu kümmern: Fahrplanauskünfte geben, Monatskarten-Abos verlängern, Fundsachen entgegennehmen. „Das ist schon eine spannende Abwechslung zum Büroalltag“, findet er.

„Frischlinge“ mit Lampenfieber

Bevor die Azubis auf die Kunden losgelassen werden, wurden sie erstmal umfassend geschult. „Die technische Seite ist gar kein Problem“, so Christian Thelen, Leiter des Kundencenters. „Heute wächst ja jeder mit Computern auf.“ Mehr zu schaffen mache manchen der „Frischlinge“ das Lampenfieber: „Ein Azubi, den wir vor einigen Tagen testweise ins kalte Wasser geworfen haben, hat beim Kundenkontakt plötzlich einen Black-Out gehabt“. Zum Glück stand ihm ein erfahrener Kollege zur Seite, der in dieser Situation unterstützend eingreifen konnte. „Auch in den Wochen des Azubi-Kundencenters stehen langjährige Mitarbeiter im Hintergrund für den Fall der Fälle bereit“, betont Christian Thelen.

Mit einem Black-Out hat Milan Preuss bisher nicht zu kämpfen gehabt. „Nur einmal bin ich bisher ins Schwitzen gekommen“, räumt der Azubi ein. „Da wollte sich jemand übers Car-Sharing ein Auto ausleihen – wie das bei uns geht, habe ich bisher nicht gewusst.“

Lob für Azubis

Da war das Problem, mit dem Ursula Körner und Renate Metzmacher an den Schalter getreten sind, schon leichter zu lösen: „Ich wollte mein Ticket 2000-Abo verlängern“, verrät die 79-Jährige. Ein Aufkleber direkt am Eingang hat die beiden Damen quasi vorgewarnt: „Azubi-Kundencenter“ steht darauf. Ohne diesen Hinweis wäre ihnen der Unterschied wohl kaum aufgefallen: „Der junge Mann hat das sehr gut gemacht“, lobt Ursula Körner, nachdem sie ihre Verlängerung erhalten hat. „Er war sehr nett und kompetent.“

Die Ausbildungsaktion hält sie für eine gute Sache: „Es ist doch positiv, wenn die jungen Menschen möglichst früh einen Bezug zur Praxis bekommen.“ Renate Metzmacher nickt zustimmend, schränkt aber ein: „Am Monatsanfang, wenn viele Kunden ein neues Ticket haben möchten, wäre eine solche Situation wohl mit mehr Schwierigkeiten und Wartezeiten verbunden.“

Stresstest erfolgreich meistern

Doch genau diesen Stresstest will das Verkehrsunternehmen durchaus in Kauf nehmen, denn die Aktion läuft bis zum 11. August. „Der Monatsanfang ist immer besonders spannend für uns“, räumt Marc Büser vom Personalmanagement ein. „Aber die Erfahrung hat bisher gezeigt, dass unsere Azubis auch diese Situation bestens meistern.“ Denn die Aktion läuft bereits zum sechsten Mal. „Sie ist mittlerweile fest in unserem Ausbildungsplan verankert.“

Dass gerade auch junge Leute aus Bereichen, die eigentlich ohne Kundenkontakt auskommen, hinter dem Schalter sitzen, hält Büser für einen besonders wichtigen Aspekt: „Hier geht es um die Identifikation mit dem Unternehmen“, stellt er fest. „Die Kunden assoziieren die Evag entweder mit unseren Fahrzeugen – oder eben mit den Kundencenter.“

Selbstverantwortliche Organisation

Und da man die Azubis eben nicht etwa als Kontrolleur in die Busse und Bahnen setzen möchte, sei das Kundencenter die beste Möglichkeit, um „die Auszubildenden unmittelbar erleben zu lassen, wie ihre Dienstleistung ankommt“, so Rolf Sprenger, stellvertretender Leiter des Bereichs Personal und Soziales.

Nicht zuletzt dadurch, dass die Azubis die Organisation der Arbeitsabläufe und Dienstpläne selbst übernehmen, seien auch schon gute Impulse fürs Unternehmen bei der Aktion herausgekommen, betont Büser: „Die jungen Leute schauen mit einem unbefangenen Blick auf die Abläufe und haben da schon gute Ideen eingebracht, etwa zur Optimierung des Dienstplans.“

Auch wenn Milan Preuss die Abwechslung durchaus Spaß macht, ist er doch froh, nach den drei Wochen wieder an seinem Schreibtisch zurückkehren zu dürfen, gesteht er. „Verwaltung ist meine Welt.“