Essen. . Ein gewalttätiger, vorbestrafter Mann droht mit einem Angriff aufs Essener Sozialamt, seine Anwältin erstattet Anzeige. In seiner Wut sei ihm auch ein Amoklauf zuzutrauen, glaubte die Anwältin und beschloss, die Polizei einzuschalten - doch die Beamten wurden erst Tage später tätig.
Sandra Everding erinnert sich noch gut an den 27. Februar, denn nach dem Gespräch mit ihrem Mandanten Alex R. (Name geändert) packte sie die Angst. R. hatte sich über das Sozialamt geärgert und angekündigt: „Ich besorg mir eine Waffe, gehe dahin, schaue denen in die Augen und schieße ihnen dann zwischen die Augen.“
Die Rechtsanwältin hat lange Erfahrung im Sozialrecht und sie weiß, dass viele Fälle zu befrieden sind. Bei R. war nichts mehr zu machen: Das Amt hatte ihm die Leistungen gestrichen, die Wohnung war wegen ausbleibender Mietzahlungen fristlos gekündigt worden und sein Betreuer hatte die Zusammenarbeit mit ihm beendet. „Der Mann ist alleinstehend, hat keine Familie – der hatte nichts mehr zu verlieren.“ Nicht nur deswegen nahm Sandra Everding die Drohung gegen das Sozialamt ernst: Alex R. leidet unter einer paranoider Schizophrenie und ist einschlägig vorbestraft.
Anwältin meldete Amok-Drohung
In seiner Wut sei ihm auch ein Amoklauf zuzutrauen, glaubte die Anwältin und beschloss, die Polizei einzuschalten. Allerdings plagte sie auch die Sorge, R. könne sich an ihr rächen, wenn er von der Anzeige erführe. Darum wendete sie sich zunächst an einen befreundeten Polizisten aus Dortmund. „Der versicherte mir, dass die Daten von Hinweisgebern und Anzeigenerstattern immer geheim gehalten und dem Beschuldigten nicht mitgeteilt werden.“
Im Vertrauen auf diese Information geht Sandra Everding zur Polizei und meldet die Amok-Drohung. Dort wird sie gefragt nach, ob der Mann eine Waffe besitze. Als die Anwältin die Frage nicht beantworten kann, habe der Polizeibeamte gesagt: „Na, dann kann es ja nicht so schlimm sein.“ Sandra Everding wendet ein, ein Küchenmesser könne auch eine Waffe sein.
"Keine akute Gefahr"
Zwar wird ihre Anzeige an diesem Montag aufgenommen, aber mit der Bearbeitung hat man es nicht eilig: Erst Freitag bekommt Alex R. Besuch von der Polizei. Nach dieser Gefährderansprache meldet sich ein Polizist bei Sandra Everding, Alex R. sei ja „wirklich nicht mehr ganz normal“. Nebenbei erwähnt der Beamte, dass er Alex R. gesagt habe, dass sie den Hinweis auf ihn geliefert habe. Everding fällt aus allen Wolken: „Wir sitzen hier mit drei Frauen, der Mann kennt die Kanzlei und die Polizei schickt ihn quasi her.“
Als sich Sandra Everding deshalb bei den Beamten beschwert, heißt es für eine „effektive Gefährderansprache“ habe man ihre Daten nennen müssen. Im übrigen gehe von R. „keine akute Gefahr“. Zwar ist bis heute tatsächlich nichts passiert, die Einschätzung findet die Anwältin trotzdem leichtfertig: „Der ist mehrfach vorbestraft, mindestens zweimal wegen gefährlicher Körperverletzung, einmal hat er einem Mitbewohner ein Messer in den Arm gerammt.“
Darum wendet sie sich ein paar Tage später selbst ans Sozialamt an der Steubenstraße: „Die nahmen die Drohung sehr ernst und wären gern eher informiert worden.“ Umgehend habe dort man Maßnahmen ergriffen, um die Kollegen zu schützen. Auch heute erinnert man sich dort gut an Alex R. und das Gefühl der Angst. Bloß offiziell mag keiner der Mitarbeiter etwas sagen.
Polizeipräsidentin bezieht Stellung
Offiziell geäußert hat sich jetzt Polizeipräsidentin Stephania Fischer-Weinsziehr: R. sei zwar psychisch auffällig, eine konkrete Gefährdung aber „nicht erkennbar“ gewesen. Immerhin räumt die Polizeipräsidentin in dem Schreiben an Everding ein, dass sich die Beamten zu viel Zeit mit der Gefährderansprache gelassen hätten.
Dass die Daten der Anwältin weitergegeben wurde, verteidigt sie jedoch: „Auch ohne Nennung Ihres Namens wäre die Quelle der Information für den Beschuldigten offenbar gewesen“. Eine verblüffende Logik, findet Everding. Es sei immerhin möglich, dass R. seine Drohung auch gegenüber anderen ausgestoßen habe. Und: „Selbst wenn die Polizei bloß wegen Lärmbelästigung bei Ihnen klingelt, verrät sie nicht, welcher Nachbar Sie angeschwärzt hat.“