Essen. Professor Christoph Bieber von der Uni Duisburg-Essen veröffentlicht einen Sammelband zum Thema Phänomen “Piraten“. Es ist die die erste wissenschaftliche Publikation überhaupt, die sich damit beschäftigt, was die Piratenpartei Neues in die Poltik gebracht hat.

Professor Bieber, was steht denn drin in Ihrem Buch?

Professor Christoph Bieber: Es ist die erste wissenschaftliche Publikation, die sich mit dem Phänomen „Piraten“ beschäftigt - wenn man so will, das erste Buch mit Fußnoten. Politologen, Soziologen, Kultur- und Medienwissenschaftler haben die „Piraten“ und angrenzende Phänomene in den Blick genommen. So ist der jetzt vorliegende Sammelband entstanden.

Und?

Bieber: Das Buch ist dreigeteilt. Der erste Teil ist mit „Entern“ überschrieben: Darin wird beschrieben, was die „Piraten“ Neues in die Politik gebracht haben.

Also Laptops auf den Tischen und alberne Kopftücher.

Bieber: Sie können bei den „Piraten“ nur schwer zwischen inhaltlichen Fragen und dem Habitus unterscheiden. Das haben wir aber versucht – im zweiten Teil des Buchs, den wir mit „Ändern“ überschrieben haben. Darin finden sich Hinweise auf einiges, was die „Piraten“ tatsächlich inhaltlich anders machen wollen.

Geht es darin um mehr als das Urheberrecht?

Bieber: Ja, eindeutig. Beschrieben wird etwa der „Piraten“-Ansatz der „Plattformneutralität.“

Was ist das?

Bieber: Pate steht das Konzept der Netzneutralität, also der Anspruch auf gleichberechtigte, neutrale Datenübertragung im Internet. Diesen Ansatz versuchen die „Piraten“ auch auf andere Ressourcen zu übertragen: ein bedingungsloses Grundeinkommen zum Beispiel. Oder den nicht kosten-, aber fahrscheinlosen Öffentlichen Nahverkehr. Auch die Frage der Religionsfreiheit lässt sich in dieser Perspektive thematisieren. Und, natürlich, geht es auch um das Urheberrecht.

Den Piraten fehlen professionelle Strukturen 

Das heißt, die „Piraten“ sind nicht bloß eine Internet-Partei.

Bieber: Das ist so ähnlich beim Start der „Grünen“: Keineswegs waren das nur die ökologisch motivierten Hardliner, die die Parteigründung vorangetrieben haben. Und die „Piraten“ bestehen nicht nur aus Nerds. Der dritte Teil des Buchs heißt „Neustart“ und ist ganz sicher der am meisten politikwissenschaftliche.

Worum geht es da?

Bieber: Wie das etablierte politische System auf die „Piraten“ reagiert.

Mit Ablehnung? Und gleichzeitiger Besetzung des Themas „Internet“?

Bieber: Zweifellos haben die „Piraten“ ein aktuelles Erfolgsrezept, was ihr Versprechen auf den Zugang zur Politik angeht. Die Frage ist aber, wie sich der Erfolg auf das Innenleben der „Piraten“ auswirkt.

Eben erst hat der Bundespressesprecher der „Piraten“ seinen Dienst quittiert. Aus Erschöpfung.

Bieber: Das ist ein deutliches Signal für das Fehlen professioneller Strukturen. Die „Piraten“ haben derzeit sehr gute Chancen, ab 2013 auch im Bundestag zu sitzen. Dann kommt es darauf an, ob sie in der Lage sind, sich zu professionalisieren, ohne ihre Andersartigkeit zu verlieren. Vielleicht kommt es zu ähnlichen Flügelkämpfen und dem Verlust von fundamentalen Positionen wie seinerzeit bei den Grünen, vielleicht aber auch nicht.

Warum kann man das nicht mit Sicherheit prognostizieren?

Bieber: Die „Piraten“ sind eine Partei, die nicht mit einem Ewigkeitsanspruch antritt. Stattdessen sagen sie ganz offen: Wenn unsere Positionen in einigen Jahren von den etablierten Parteien aufgenommen worden sind, haben wir uns vielleicht erübrigt. Diese Haltung ist neu. Sie repräsentiert eine andere Vorstellung von Politik. Es kann also sein, dass die „Parteien“ nicht trotz, sondern gerade wegen ihres eigenen Erfolgs in einigen Jahren überflüssig sind.

Aber wenn die ersten „Piraten“ erst mal lukrative Posten bekleiden . . .

Bieber: . . . wird man sehen, wie weit diese rein funktionale Haltung noch trägt. Im Moment ist jedenfalls zu beobachten, dass sich die „Piraten“ mit Händen und Füßen dagegen wehren, Teil der Elite zu werden.

Für wen sind die „Piraten“ attraktiv? Nur für Protestwähler?

Bieber: Nein. Auch für viele Menschen, die beim Thema Internet die institutionalisierte Politik als Eindringling begreifen – Stichwort Kriminalisierung von Download-Aktivitäten, Sperrung von Online-Inhalten oder Vorratsdatenspeicherung. Das empfinden viele Bürger, nicht nur Computer-Freaks, mittlerweile als Angriff, der nicht widerspruchslos hingenommen werden soll.