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Über eine Erkältung oder ein gebrochenes Bein sprechen die meisten Menschen ohne große Scham. Was aber tun, wenn die Beschwerden organisch nicht nachzuweisen sind? Wenn einem einfach alles über den Kopf wächst? Wohl schon immer gab es im Berufsleben, was seit ein paar Jahren einen Namen hat: Burnout, mit einem Wort: Ausgebranntsein.

Zwar entwickelt sich der medial überstrapazierte Begriff mittlerweile zum Modewort, doch führte er wohl auch durch das öffentliche Bekenntnis einiger Prominenter wie Starkoch Tim Mälzer oder Publizistin Miriam Meckel dazu, dass Überlastung im Job nicht länger totgeschwiegen wird.

Führungskräfte im Fokus

Dies zwingt auch Chefs hiesiger Unternehmen zum Umdenken. Gesundheitsmanagement für Mitarbeiter nimmt bei Arbeitgebern in der Region einen immer höheren Stellenwert ein, bestätigt eine Sprecherin der RWE AG: „In den vergangenen Jahren haben wir die Vorbeugungsmaßnahmen gegen psychische Erkrankungen stark ausgebaut.“ Man engagiere sich bereits seit Jahren im betrieblichen Gesundheitsmanagement, doch zielten die Angebote längst nicht mehr ausschließlich auf körperliche Fitness.

„Oft wird in unserer Leistungsgesellschaft gerade die psychische Beanspruchung von Führungskräften unterschätzt. Das Problem haben wir stärker in den Blick genommen.“ So gibt es bei der RWE AG etwa ein Seminar zur Stressbewältigung für Führungskräfte. Seit April vergangenen Jahres haben Mitarbeiter außerdem die Möglichkeit, sich anonym an die betriebliche Sozialberatung zu wenden, wenn sie mit einer beruflichen oder privaten Situation nicht zurechtkommen.

Ähnliche Angebote gibt es in der Agentur für Arbeit, wo man mit einem breiten Bildungsangebot vor allem auf Hilfe zur Selbsthilfe setzt. In Workshops lernen Mitarbeiter, ihr Zeitmanagement zu verbessern und Konflikte mit Kollegen konstruktiv zu lösen. Außerdem gibt es Entspannungsräume mit jeweils einer Massageliege und einer Klangwoge, in denen Angestellte nach Terminabsprache sich in der Pause eine Auszeit nehmen können.

Die Klangwoge ist eine ergonomisch geformte Entspannungsliege, auf der man leichte Vibrationen im gesamten Körper spürt, während man ruhige Musik hört. „Wir erhalten viele positive Rückmeldungen auf das Angebot“, sagt Ute Predel, Mitarbeiterin der Abteilung „Interner Service“.

„Ich war anfangs skeptisch“, gibt Oliver Rahn, Leiter des Infrastrukturbereichs, zu. „Aber die Erfahrung hat gezeigt, dass Mitarbeiter nach einer kurzen Auszeit vom Arbeitsalltag viel leistungsfähiger sind.“ Gemeinsame Unternehmungen mit Kollegen wie ein gemütlicher Kochabend stärkten außerdem den Zusammenhalt untereinander, so Rahn.

Positiver Wandel

Das Diakoniewerk Essen, das sich ja in seiner fachlichen Ausrichtung auch mit psychischen Erkrankungen befasst, verfügt über zahlreiche Instrumente, um Angestellte vor Überlastungssituationen zu schützen. Regelmäßig werden die Mitarbeiter etwa auf ihre Zufriedenheit mit der gegenwärtigen Situation am Arbeitsplatz befragt. Darüber hinaus bezuschusst das Diakoniewerk Gesundheitskuren für Arbeitnehmer und bietet ihnen Weiterbildungs- und Beratungsangebote an.

Wenn es ernst wird, gibt es wohl trotzdem eine gewisse Hemmschwelle, den Chef mit Problemen seelischer Natur zu konfrontieren. Doch zeigen die zahlreichen Vorbeugungsmaßnahmen wohl, dass die Unternehmen das Thema ernst nehmen.

Eine positive Entwicklung, sagt Wolfgang Senf, Direktor der „Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie“ im LVR-Klinikum: „Da findet gerade ein Wandel statt.“ Doch sorge der inflationär verbreitete Begriff Burnout auch für Missverständnisse. Burnout sei nicht mit einer Depression gleichzusetzen, aber es könne der Anfang dazu sein. Senf: „Wir haben es da mit einer psychischen Verletzung zu tun. Wenn die Symptome stärker werden, sollte man dringend ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen.“