Essen. . Wenig Gehalt, weiter steigende Versicherungskosten: Das Geschäft mit Geburten wird zum Risiko, das immer weniger Hebammen eingehen wollen. Deshalb beschränken sich viele auf Vor- und Nachbetreuungen. Für die angehenden Eltern eine problematische Situation.

„Mein Beruf ist mein Hobby.“ Wer das sagen kann, der ist mit seinem Job rundum zufrieden. Doch Brigitte Bremer wirkt bei diesen Worten eher melancholisch als begeistert. Sie arbeitet als selbstständige Hebamme und mittlerweile ist ihr die größte Freude längst genommen worden. „Ich liebe Geburten, aber ich wüsste nicht, wie ich mit Geburten allein meine Praxis finanzieren könnte“, sagt die Leiterin des Rüttenscheider Hebammenteams.

Eine große Belastung

So wie Bremer geht es immer mehr der noch verbliebenen knapp 120 Essener Hebammen. „Viele Kolleginnen betreiben ihren Beruf mittlerweile sogar nur noch als 400-Euro-Job und arbeiten zusätzlich in anderen Branchen“, berichtet Bremer. Andere handhaben es so wie sie, beschränken sich auf Vor- und Nachbetreuung von Frau und Kind, oder unterstützen das Familienprojekt der Stadt Essen „Sicherer Start“. „Das gibt nicht viel zusätzliches Geld, aber es reicht, um zumindest die Praxismiete zu tragen.“

Entbindungen sind für die Geburtshelferinnen mittlerweile mehr eine Belastung, denn Höhepunkt des Berufs. Zumindest finanziell. Zum 1. Juli steigt die Haftpflichtversicherung für Hebammen um 15 Prozent auf dann 4242 Euro jährlich – nur um bei Entbindungen abgesichert zu sein.

Verzicht auf vertraute Hebamme

„Wer heute als Hebamme entbindet, der soll mehr als einen Monat lang im Kreißsaal stehen, um die Haftpflicht zu zahlen“, weiß Bremer. Eine Berechnung des Verbands bestätigt: Nur für die Versicherung müssen Hebammen 17 Krankenhausgeburten begleiten, jede mit einem Arbeitsaufwand von elf Stunden. „Damit hat man dann aber noch keine Schnitte Brot gekauft, geschweige denn eine Praxis finanziert“, sagt Bremer.

Werdende Mütter müssen deshalb immer häufiger auf ihre vertraute Hebamme bei der Geburt verzichten. Stattdessen fahren sie alleine ins Krankenhaus, um dort von einer unbekannten Geburtshelferin betreut zu werden. Am Universitätsklinikum sind dafür 13 Frauen angestellt. Neben den zwölf Festangestellten auch eine freiberufliche Beleghebamme. Ganz traditionell betreut sie die Frauen vorab und begleitet sie anschließend in die Frauenklinik. Dafür bezahlt das Klinikum die Versicherung. Ein Einzelfall, in den übrigen vier Essener Kliniken mit Kreißsaal müssen sich die Freiberuflerinnen selbst absichern.

Hebammen kämpfen mit zunehmenden Ausbildungsanforderungen 

„Deshalb habe ich mich vor drei Jahren bewusst gegen eine Fortsetzung der Geburtshilfe entschieden“, erzählt Brigitte Bremer, die bis dahin mit ihren Frauen ins Knappschafts-Krankenhaus ging. Als zusätzliche Belastungen zum Versicherungsgeld kommen unregelmäßige Arbeitszeiten, Nachtdienste und Bereitschaften. Das alles, um letztlich durchschnittlich etwa 1300 Euro netto zu verdienen.

Bedingungen, die für die Zukunft nicht viel Gutes verheißen. „Man merkt, dass es immer weniger Kolleginnen gibt“, erzählt Elli Conrads, Hebamme und Gründungsmitglied des Essener Geburtshauses in Gerschede. Dort entbinden sie und ihre drei Mitstreiterinnen im Jahr knapp 180 Babys. So komme man über die Runden. Pläne, ein weiteres Mitglied ins Team zu holen, sind aber aufgrund der (Versicherungs-)Kosten vorerst aufs Eis gelegt.

Keine Besserung in Sicht

Dabei könnte man zusätzliche Unterstützung gut gebrauchen. Die Zahl von rund 4600 Geburten pro Jahr in Essen ist in den letzten Jahren stabil geblieben, bei gleichzeitig weniger werdenden Hebammen wird das Problem deutlich: „Viele angehende Eltern sind froh, überhaupt Unterstützung zu finden“, erzählt Conrads. Als Team könne man vielen Betroffenen helfen, „aber wir haben schon oft gesagt, dass wir es alleine deutlich schwerer hätten“. So werden Kosten, Belastung und Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt.

Für sie selbst steht ein Aufhören nicht zur Debatte. „Geburten sind das Salz in der Suppe“, sagt die 49-Jährige. Doch angesichts der zunehmenden Ausbildungsanforderung an ihren Berufsstand weiß sie auch: „Es kann nicht sein, dass junge Hebammen mittlerweile genauso ein abgeschlossenes Studium haben wie ein Krankenhausarzt, aber nur die Hälfte verdienen.“

Doch Besserung ist nicht in Sicht. Und solange wird Brigitte Bremer weiter Verzicht üben. „Das Beste an unserem Beruf, verwehrt man uns eigentlich“, sagt sie traurig. Aber: „Die Vor- und Nachbetreuung macht auch Spaß, mein Beruf ist und bleibt mein Hobby.“ Allen Ärger zum Trotz.

Beruf Hebamme - Die aktuelle Situation

Wer heute Hebamme werden möchte, muss entweder eine dreijährige Ausbildung an einer der bundesweit 58 Hebammenschulen oder ein Bachelor-Studium an der Fachhochschule Bochum absolvieren.

Um als Hebamme entbinden zu dürfen, ist eine Haftpflichtversicherung notwendig. Die Beiträge hierfür sind seit 2009 um 79 Prozent gestiegen. Gleichzeitig streiten die Hebammenverbände mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen um eine Gehaltserhöhung. Momentan verdienen Hebammen einen Stundenlohn von rund 7,50 Euro. Das Kassenangebot von 1,98 Prozent mehr wurde abgelehnt, die Verhandlungen wurden abgebrochen.